Sollen rechtsextremistische Webinhalte zensiert und verboten werden?
Copyright © Dr. Jörg Hutter. Alle Rechte vorbehalten. Der hier veröffentlichte Artikel ist urheberrechtlich geschützt und darf nur zu privaten Zwecken herunter geladen oder ausgedruckt werden. Für andere Absichten - insbesondere das Einstellen auf Webseiten - ist das Einverständnis des Verfassers einzuholen. Wie kann eine sinnvolle Auseinandersetzung mit
rechtsextremen Websites im Netz aussehen?
Strafrechtliche BestimmungenIn Deutschland scheint die Veröffentlichung rechtsextremer Webseiten eindeutig sanktioniert. Die §§ 130 und 131 StGB legen hier den Handlungsrahmen der Strafverfolgungsbehörden fest. So heißt es etwa in § 130 (Volksverhetzung): Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er 1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, 2. zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 3. sie beschimpft, böswillig verächtlicht macht oder verleumdet, wird (...) bestraft. Auch der § 131 (Verherrlichung von Gewalt; Aufstachelung zum Rassenhass) lässt an Eindeutigkeit nichts zu Wünschen übrig. So wird formuliert: Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die Gewalttätigkeiten gegen Menschen in grausamer und sonst unmenschlicher Weise schildern und dadurch eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken oder die zum Rassenhass aufstacheln, verbreitet etc. (...) wird (...) bestraft. Nun ist aber zu bedenken, dass es sich beim Strafrecht um kein ewig gültiges Regelwerk handelt. Als von Menschen gesetztes Recht ist es ständigen Veränderungen unterworfen, selbst dann, wenn es sich vielen als nahezu unveränderbare objektive Wirklichkeit präsentiert. So sind beispielsweise etliche Handlungen (Ehebruch, Kuppelei, Homosexualität), die vor vierzig Jahren noch mit Strafe bedroht waren, heute straffrei. Diese Erkenntnis gewinnt erst Recht an Bedeutung, wenn wir nicht historisch, sondern international vergleichen. Oben zitierte Bestimmungen finden sich nämlich nur im deutschen Strafrecht. So treffen wir insbesondere in den USA auf eine ganz andere Rechtstradition, die vor allem vom amerikanischen Individualismus geprägt ist: "Maximale Freiheit des einzelnen und so wenig staatliche Kontrolle werden angestrebt, politische Willensbildung soll im freien Spiel der Kräfte entstehen. Für europäische Köpfe ist diese 'libertäre' amerikanische Ideologie unvertraut und oftmals schwer nachzuvollziehen."1 Des weiteren ist zu bedenken, dass auf den meisten rechtsextremen Seiten eben nicht offen und direkt zu Mord und Totschlag aufgerufen wird. Gerade dann, wenn sich die Botschaften geschickt im Grenzbereich zwischen Verbotenem und Tolerierbaren bewegen, wird ihnen strafrechtlich nur schwer beizukommen sein. Zur Meinungsfreiheit und ToleranzHinzu kommt, dass sich angesichts der Globalisierung der Medien die deutsche Rechtsauffassung immer schwerer durchsetzen läßt. Rechtsextreme Seiten sind mittlerweile mit wenigen Mausklicks auf den Bildschirm zu laden - häufig aus Ländern, in denen sie ganz legal in Umlauf gebracht werden. Somit verlaufen die Ermittlungen deutscher Staatanwaltschaften meist im Sande. Dies hat auch die Mannheimer Staatsanwaltschaft zu spüren bekommen, als sie den Online-Dienst der deutschen Telekom aufforderte, die Webseiten des deutsch-kanadischen Neonazis Ernst Zündel zu blockieren. Viele amerikanische Netzaktivisten - oftmals eben keine Neonazis - stellten sich schützend vor Zündel und publizierten seine Webseiten auf ihren Servern.2 So verteidigte auch der amerikanische Linguistikprofessor und linke Bürgerrechtler Noam Chomsky die Holocaust-Studien des amerikanischen Professors Robert Faurisson, der die Gaskammern genauso wie die Authentizität des Tagebuchs der Anne Frank leugnete. Noam Chomsky formulierte seine vom Geist der Redefreiheit geprägte Auffassung wie folgt: Es ist wohl notwendig, Voltaires berühmte Worte zu zitieren, die er seinerzeit in einem Brief an M. le Riche zu Papier brachte: 'Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass sie sie sagen dürfen. (...) Es ist elementar, dass das Recht auf Freiheit des Ausdrucks (einschließlich der akademischen Freiheit) nicht auf Ansichten eingeschränkt werden darf, die man befürwortet. Genau im Falle von Ansichten, die fast allgemein verabscheut und verdammt werden, muss dieses Recht am entschlossensten verteidigt werden."3 Von diesem Geist geprägt sind auch die Aktivitäten des jüdischen "Nizkor-Projekts", hebräisch für "Wir werden erinnern". Dieses weltweit größte Online-Archiv über den Holocaust versteht sich als Waffe gegen rechtsextreme Weltanschauung, indem umfangreiche Quellen zum Holocaust präsentiert werden, welche seine Leugner als Betrüger entlarven sollen. Doch zu diesem Zweck werden auch dort die Inhalte rechtsextremer Websites präsentiert, etwa die von Ernst Zündel, David Irving und Fred Leuchter. Der Gründer dieses Internet-Archivs, der Amerikaner Ken McVay bezweifelt denn auch den Nutzen von strafrechtlicher Verfolgung derartiger Webinhalte. Er fragt: "Was würde es zum Beispiel für einen Vorteil bringen, wenn man diese Nazis in den Untergrund zwingen würde? Würde es sie daran hindern zu hassen?"4 Verfehlen Zensurbestrebungen im Netz ihr Ziel?McVay verweist hingegen auf die unbeabsichtigten Folgen derartiger Zensurbemühungen. Denn diese Aktivitäten verstärkten die Sichtbarkeit neonazistischer Webseiten. "Ernst Zündel schrieb, nach aktuellen Berichten über 'blockierte' Dokumente sei die Leserzahl der 'Zündelsite' um 50 Prozent angestiegen. Die Zahl der Aufrufe von einzelnen Dokumenten habe sich gar verdreifacht. Könnten sie sich eine bessere Werbung wünschen? Die Nazis sind völlig unbeeindruckt und sie können sich jetzt das Märtyrergewand anlegen. Warum gibt ihnen die Regierung nicht gleich eine Million für Werbezwecke?"5 Die Aufklärungsbemühungen von Ken McVay laufen hingegen selbst Gefahr, Opfer von Zensurbestrebungen zu werden. Denn selbstverständlich setzt die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Gedankengut voraus, dass man es kennt. Um es lesen zu können, finden sich daher auch bei Nizkor viele Quellen der Nazi-Propaganda, und zwar kommentiert wie auch unkommentiert. Der Webmaster von Nizkor, Jamie McCarthy, beschreibt das Problem wie folgt: "Wenn Nizkor eine Kopie des Leuchter-Reports archivieren will, wird uns dann die deutsche Regierung über die Schulter schauen und uns vorschreiben, was wir tun müssen, damit es legal ist? Werden wir gezwungen sein, in den Kopf jeder Seite zu schreiben: 'Dies ist falsch'? Oder wird man unseren Server dicht machen, Bußgelder verhängen oder Schlimmeres?"6 Diese Befürchtungen sind tatsächlich nicht ganz unbegründet. Der Berliner Journalist Burkhard Schröder beispielsweise sieht sich seit Oktober 2000 mit einer Anklage auf Beihilfe zu einer Straftat (§ 27 StGB) konfrontiert, weil der Verdacht bestehe, dass er mit dem Setzen von Links auf rechtsextreme Seiten auf strafbare Inhalte verweise. Zudem wurde ihm das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Tatsächlich finden sich auf der entsprechenden Seite neben unzähligen Links zu antifaschistischen und antirassistischen Organisationen etwa hundert Verweise auf rechtsextreme Parteien und Gruppen.7 Der Abschnitt wird betitelt mit einem Tucholsky-Zitat: "Der Feind steht rechts" und dem folgenden Symbol:
Offensichtlich scheint den Verfolgungsbehörden eine derartige Distanzierung nicht zu genügen oder sie können nicht erkennen, dass das Hakenkreuz durchgestrichen ist. Erstaunlich ist zudem, mit welcher Akribie und Intensität sich Polizei und Staatsanwaltschaft dieses Falles widmen. Beteiligt an den Ermittlungen sind neben der Berliner Staatsanwaltschaft gar das Bundeskriminalamt, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und die Kriminalpolizeiinspektion Rosenheim.8 Der Eindruck drängt sich auf, dass die oben zitierten Strafbestimmungen derzeit offenbar weniger die Nazi-Websites treffen, sondern diejenigen, welche über derartige Anschauungen aufklären wollen. Wie ist rechtsextremen Meinungen im Netz beizukommen?Anstatt die politische Auseinandersetzung mit Nazi-Propaganda zu behindern und mehr oder weniger hilflos gegen die tatsächlichen Urheber rechtsextremer Webinhalte vorzugehen, empfiehlt der Nizkor-Gründer Ken McVay die folgende Strategie: Wenn die Regierung wirklich etwas Gutes tun wollte, würde sie damit aufhören, im Netz ihrem eigenen Schwanz hinterher zu jagen und würde damit beginnen, ihre nationalen Archive zu digitalisieren. Die Regierung verfügt über Tonnen von unglaublich wertvollem Dokumentationsmaterial, das in Lagerhallen vergammelt. Wenn sie eine positive Rolle übernehmen würde, indem sie dieses Material der Allgemeinheit übergibt, könnte man den Holocaust-Leugnern den entscheidenden Schlag versetzen.9 Ken McVay wäre gerne bereit, diese Arbeit zu übernehmen, wenn er das Material zur Verfügung gestellt bekäme. Denn dann hätten die Leugner des Holocaust keine Chance mehr, die Verbrechen des Nationalsozialismus glaubhaft zu leugnen. Online-Diskussion zum ThemaVielleicht gibt es aber auch ganz andere Vorschläge und Ideen. Oder jemand ist völlig anderer Meinung. Dann auf zur [Online-Diskussion] hier in diesem Web. Zurück zum Inhalt Zurück zum Beginn Anmerkungen1) Meyer-Lorenz: Ein kanadisches Projekt zeigt, wie man sich ohne Zensur mit Neonazis im Netz auseinandersetzen kann, 18. Oktober 1996. Zurück zur Fn. 1 2) Ders. a.a.O. Zurück zur Fn. 2 3) Chomsky, Noam: His Right to Say It, in: The Nation, 28. Februar 1981, Online unter: http://www.zmag.org/chomsky/, weiter unter Articles. Zurück zur Fn. 3 4) McVay, Ken und Jamie McCarthy im Spiegel Online-Interview, 18. Oktober 1996. Zurück zur Fn. 4 5) McVay, Ken, a.a.O. Zurück zur Fn. 5 6) McCarthy, Jamie., a.a.O. Zurück zur Fn. 6 7) Schröder, Burkhard: Informationsportal Rassismus & Antisemitismus, Online unter: http://www.burks.de/nazis.html Zurück zur Fn. 7 8) Schröder, Burkhard: Ermittlungsverfahren gegen Burkhard Schröder, 30. Januar 2001, Online unter: http://www.burks.de/kafka.html Zurück zu Fn. 8 9) McVay, a.a.O. Zurück zur Fn. 9 Themenverwandte Links auf dieser Seite
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