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Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien
Der Beginn der NATO-Luftangriffe auf die Republik Jugoslawien am 24. März
1999 stellt eine tiefe Zäsur dar, nicht nur in der europäischen
Nachkriegsgeschichte, sondern auch in der Geschichte und Politik der Grünen,
die sich schon immer als Antikriegspartei verstanden haben. Innerhalb der Partei
ist über die Entscheidung von Bundesregierung und Parlament heftig und lange
gestritten worden. Deutlich war und ist: es gibt keine einheitliche
Parteimeinung. Die Positionen reichen von völliger Ablehnung einer Intervention
bis hin zu der Forderung, Bodentruppen in das Kosovo zu entsenden.
Plädoyer für Bodentruppen
In der taz bremen vom 10./11. April 1999 hieß es unter der Überschrift:
Grüne fordern Diplomatie im Kosovo unter anderem: "Jörg Hutter, Beisitzer
im Landesvorstand und Bürgerschaftskandidat, ging noch einen Schritt weiter. Er
forderte den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo, falls sich Hinweise auf einen
groß angelegten Völkermord bestätigen sollten. 'Ich befürchte, dass die
Menschen, die sich noch im Kosovo aufhalten, dem Tod geweiht sind."
Hutter sagte: "Mit wahnsinnigen Bauchschmerzen habe ich jetzt diese sehr
weit reichende Position übernommen." Hutter beschäftigt sich seit Jahren
wissenschaftlich mit der Verfolgung im "Dritten Reich". Er entdeckt
Parallelen zwischen serbischem Handeln und dem Nationalsozialismus. Dem könne
man nicht tatenlos zuschauen.
Argumente
für
eine andere Art der Intervention
Mit dieser Meinungsäußerung habe ich mir eine Menge Ärger eingehandelt.
Leider sind die Kritiker nicht inhaltlich auf meine Thesen eingegangen. Deshalb
starte ich an dieser Stelle den Versuch, mich inhaltlich der kritischen Meinung
zu stellen. Zuvor möchte ich aber auch sagen: ich habe die Weisheit nicht mit
Löffeln gegessen. Ob ich richtig liege, weis ich nicht. Meine Meinung beruht
auf der Interpretation der mir zugänglichen Informationen. Sie dokumentiert
zugleich eine gehörige Portion Skepsis gegenüber den offiziellen
Nato-Verlautbarungen, nach denen ein 'sauberer Krieg' ohne Risiko für die
eigenen Soldaten zu gewinnen sei, indem man ein Land aus großer Höhe ohne
Rücksicht auf dortige Zivilisten einfach bombardiert.
Zunächst
aber erst einmal zur serbischen Seite: Zu bedenken ist meiner Meinung nach, dass
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serbische Truppen eine unnachgiebige Expansionspolitik betrieben:
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Sie führten bereits seit 1991 Krieg gegen Slowenien, Kroatien und
Bosnien mit mehr als 250.000 Tote und Millionen von Flüchtlingen, |
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Serbische Soldaten schrieben mit der Zerstörung und Einnahme der
kroatischen Stadt Vukovar ein neues grausames Kapitel einer rassistisch
motivierten Vertreibungspolitik, die auch vor der Vernichtung
unbewaffneter Zivilisten keinen Halt mehr machte, |
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Eine serbische Soldateska betrieb ihre Vernichtungsaktionen trotz
ständiger Verhandlungen der UNO, der Kontaktgruppe unter Einschluss von
Russland etc. unvermittelt weiter (Prijedor, Banja Luka, Foca, Modrica,
Bihac und viele andere), |
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Sie ließ nach der Erstürmung der UNO-Schutzzone Srebrenica am
10. Juni 1995 alle zivilisatorischen Hemmungen fallen, als unter
Leitung des serbischen Generals Mladic etwa 10.000 Männern und
männlichen Jugendlichen massakriert und die Frauen vertrieben wurden, |
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Serbische Einheiten im Kosovo schon ab Sommer 1998 Kosovaren
systematisch vertrieben und massakrierten (Racak, Orahovac). |
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Dieses Vorgehen der serbischen Militärs ist als offensichtlich faschistisch
zu bewerten. Die Menschen sind einzig nach rassistischen Motiven (d. h.
auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit) vertrieben und zum Töten hin
selektiert worden (Männer im wehrfähigen Alter). |
Til Mette zum Verhalten der Grünen im Bosnien-Krieg |
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Ein Rückblick zeigt, dass die westeuropäische Appeasement-Politik
(=aktive Beschwichtigung) der 30er-Jahre die Expansionsbestrebungen
Deutschlands und Italiens nicht stoppen konnte. Das Münchener Abkommen von
1938, das die Tschechoslowakei schutzlos dem deutschen Reich auslieferte,
war nicht das Papier wert, auf dem es stand. Hitler nutzte die Zeit, die
Wehrmacht weiter aufzurüsten. Anstatt den Frieden zu sichern, schlitterte
Europa in die Katastrophe des 2. Weltkrieges. |
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Die Expansionspolitik des serbischen Machthabers
Milosevic bedrohte
ebenfalls den Frieden und die Sicherheit in ganz Europa. Seine
Vertreibungspolitik durfte nicht belohnt werden. Sie drohte, sich zu einem
Flächenbrand auszudehnen. |
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Die UNO ist laut eigenem Mandat (Jus c'ogens = Zwingendes Recht)
verpflichtet, bei Völkermord militärisch einzugreifen. Der Sicherheitsrat
als zuständiges Entscheidungsgremium hat hierbei aber schon mehrfach
versagt (Kambodscha, Ruanda etc.). |
Kritische Anmerkungen
zu dem Militäreinsatz
Kritisch anzumerken bleibt, dass die Bombenangriffe auf Serbien nicht nur
grausam gegenüber der dortigen Zivilbevölkerung, sondern offensichtlich auch
ineffektiv in dem Ziel waren, die Kampfkraft der serbischen Truppen zu
schwächen. Deshalb habe ich mich - trotz aller Risiken - für die Entsendung
von Bodentruppen ausgesprochen.
Zudem gilt leider auch für das Kosovo, dass die heutige Präsenz der
SFOR-Truppen zwar weitere Massenmorde unterbindet, das Kosovo aber bislang nicht
wirklich als befriedet gelten kann. So zeigt sich hier wie anderswo: Allein die
Zugehörigkeit zu einer vormals verfolgten Gruppe schafft noch kein politisches
Bewusstsein. Das Gegenteil ist leider der Fall. Die Angriffe auf die jetzt als
Minderheit geltenden Serben und Roma erfolgen nach dem gleichen Muster. Die nach
rassischen Kriterien als abweichend definierten Menschen werden nur auf Grund
ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt und ermordet. Neben konsequenter
Ermittlung und Bestrafung der Täter bedarf es daher eines Programms zur
politischer Bildung, bei dem für eine nach demokratischen Prinzipien
organisierte pluralistische Gesellschaft geworben wird.
Zygmunt
Baumann:
die Möglichkeit des Holocaust steckt im Wesen moderner
Zivilisation
Schließlich möchte ich auf den polnischen Soziologen Zygmunt Baumann
verweisen, der in einem Interview in DIE ZEIT die These vertritt, dass die
Möglichkeit des Holocaust im Wesen der modernen Zivilisation steckt. Es sei ein
moderner Gedanke, Leben und Wohlstand von Menschen einer "idealen"
Welt, einer Utopie von Gesellschaft opfern zu wollen. Meist beginne alles mit
der Definition des Fremden. Hat man Menschen als fremdartig definiert, kann man
sie separieren. Hat man sie erst separiert, kann man sie deportierten. Stößt
die Vertreibung an ihre Grenzen, steht am Ende der Kette die physische
Vernichtung. Auch im heutigen Europa könne es erneut zur Endlösung für ganze
Volksgruppen kommen. Die Frage sei nur, ob die demokratische Mehrheit in Europa
dagegen aufbegehrt oder ob sie das Geschehen einfach hinnimmt.
Das vollständige Interview kann gelesen werden unter dem folgenden
Link
"Gespräch mit dem polnischen Soziologen Zygmunt Baumann".
Zur Fernsehdokumentation
"Es begann mit einer Lüge"
Im Brennpunkt der taz erschien
anlässlich der neuen Kämpfe im Westen von Mazedonien von Heiko Hänsel und
Rüdiger Rossig der Artikel "Das Muster des Krieges". Die Autoren
bewerten unter anderem die aktuelle WDR-Fernsehdokumentation der
Monitor-Mitarbeiter Jo Angerer, Matthias Werth und Andreas Maus und kritisieren,
dass diese die Vorgeschichte des Krieges völlig ausblenden. Sie resümieren
ihren Beitrag mit der Feststellung: "Der Kosovo-Krieg begann eben nicht mit
einer Lüge. Er begann mit Massakern."
taz
Archiv: (nicht mehr online verfügbar im September 2003)
hier suchen nach:
taz Nr. 6405 vom 24.3.2001, Seite 4, 217
TAZ-Bericht, HEIKO HÄNSEL / RÜDIGER ROSSIG, sowie nach:
taz Nr. 6405 vom 24.3.2001, Seite 4, 103
TAZ-Bericht, HH / RR, Chronologie
Ebenfalls mit viel
Hintergrundinformation ist eine Seite vorher der Artikel von Thomas Schmid
versehen, der unter dem Titel "Der Weg zur Unabhängigkeit" für neue
umfassende Verhandlungen mit der neuen, demokratisch legitimierten serbischen
Regierung über die Zukunft des Kosovo.
taz
Archiv: (nicht mehr online verfügbar im August 2003)
hier suchen nach:
taz Nr. 6405 vom 24.3.2001, Seite 3, 149 TAZ-Bericht,
THOMAS SCHMID
Der
nützliche Streit: Ein unnützer Krieg?
Bettina
Gaus setzt in der taz vom 11. Mai 2001 unter obigem Titel andere Akzente.
Sie spitzt das Thema zu auf die Frage, wie die Lage im März 1999 im Kosovo zu
beurteilen sei. Begann die umfassende Vertreibung und das Töten von
Kosovo-Albanern erst mit Beginn der NATO-Luftangriffe? Während der
SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler bereits im März 1999 eine drohende
humanitäre Katastrophe diagnostiziert, beurteilt der Brigadegeneral a.D. Heinz
Loquai die Flüchtlingsströme vor Beginn der Luftangriffe weniger dramatisch.
Auffallend ist, dass bei dieser Betrachtungsweise die Massaker und Vertreibungen
in Bosnien ausgeblendet bleiben. Zu fragen wäre, ob dort eine frühere
militärische Intervention der UNO das Vertreiben, Vergewaltigen und Morden
hätte stoppen können?
taz
Archiv (nicht mehr oneline verfügbar im September 2003)
hier suchen nach Themen des Tages:
taz
Nr. 6443 vom 11.5.2001, Seite 4, der report, BETTINA GAUS und GERNOT ERLER /
HEINZ LOQUAI
Link
zum Thema
Die internationale
Kosovo-Kommission hat UN-Generalsekretär am 23. Oktober 2000 einen Bericht
vorgelegt, der dem serbischen Militär vorwirft, bereits seit dem Frühjahr 1998
gewaltsam und gezielt gegen die albanische Zivilbevölkerung vorgegangen zu
sein.
Internationale
Kosovo-Kommission
Der
Link http://www.kosovocommission.org/reports/ funktioniert leider
nicht mehr.
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