Der Bremische Härtefond für die 'Vergessenen Opfer' des Nationalsozialismus
Der Bremische HärtefondUnter dieser Überschrift habe ich einen Vorgang aus dem Jahr 1988 zusammengetragen. Da die damalige christlichliberale Kohl-Regierung in Ergänzung zum Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes 1987/88 nur eine unzureichende Entschädigungsregelung für die Opfer der nationalsozialistischen Willkürherrschaft in Kraft gesetzt hatte, installierten einzelne Bundesländer ab 1987 eigene Regelungen, um diese Unzulänglichkeiten abzufedern. Nach Berlin war in Bremen ein entsprechendes Gesetz beim fachlich zuständigen Senator für Arbeit erstellt worden. Dreh- und Angelpunkt der neuen Regelung sollte eine neue Entscheidungsstruktur sein: nicht mehr die Finanzbehörde, sondern ein Gremium von VertreterInnen aus Verfolgtenverbänden sollte über Anträge der Betroffenen beraten und entscheiden. Wie schon zuvor in Berlin waren auch im Bremer Gesetzentwurf Vertreter der Schwulen- und Lesbenverbände für den entsprechenden Beirat nicht vorgesehen. Nach langem Drängen konnte dann eine Delegation des damaligen Rat & Tat Zentrums für Homosexuelle beim ehemaligen Arbeitssenator, Herrn Konrad Kunick, vorsprechen. Dort wurden wir - Helmut Koch, Rüdiger Lautmann und ich - jedoch brüsk zurückgewiesen. Mit dem bürokratischen Argument, dass der Entwurf bereits gedruckt und eine Änderung fristgerecht nicht mehr vorzunehmen sei, verwies man uns der Tür. Das von uns erstellte Gedächtnisprotokoll über diese denkwürdige Begegnung gaben wir auch dem Herrn Senator zur Kenntnis. Dieser wies das Papier als "gelinde Unverschämtheit" zurück. In seiner Erregung griff er gleich persönlich zu Feder. Das Dokument soll der Öffentlichkeit nicht mehr vorenthalten bleiben. Eine gelinde Unverschämtheit ...
Sehr geehrte Herren! Unter Hinweis auf Seite 2 Ihres "Gedächtnisprotokoll" genannten Papiers: "Der Senator erwiderte hierauf: ... keinen Zusammenhang zwischen der Wiedergutmachung für die Opfer des Nationalsozialismus sehe", weise ich das gesamte Papier, auf dessen restliche Darstellung ich zurzeit nicht weiter eingehe, als fatal und gelinde Unverschämtheit zurück. Dies bitte mit der gleichen Deutlichkeit wie meine Versicherung, dass ich überhaupt nicht beabsichtige, mich auf eine derartige Streitebene zu begeben angesichts meiner Auffassung, dass die Homosexuellen ungerechtfertigt Verfolgung unter den Nazis erlitten und heute noch ungerechtfertigt diskriminiert werden. Ich werde, wenn nicht Streit öffentlicher Art gegenwärtig das Klima dafür zerstört, mich nach Anlaufen der Entschädigungsleistungen für eine sich aus der Praxis ergebende Revision in vielleicht verschiedenen Punkten einsetzen, wozu meiner Auffassung nach auch die Berufung eines anerkannten Wissenschaftlers aus ihrem Kreise in die Kommission gehört. Gegenwärtig hat für mich allerdings Priorität, dass die Bürgerschaft den vorliegenden Vorschlag sofort verabschiedet, damit wir zahlreichen Abtragstellern aus der Bevölkerung den Beginn der Behandlung ihrer Anträge zum 1.1.89 zusagen können. Mit freundlichem Gruß Konrad Kunick Der damalige Bürgermeister lenkt einSo schnell gaben wir uns aber nicht geschlagen. Mit einem längeren Schreiben wandten wir uns an die Bürgerschaftsfraktion und Landesorganisation der damals in Bremen allein regierenden SPD. Die Öffentlichkeit schalteten wir zu diesem Zeitpunkt ganz bewusst nicht ein. Und der Erfolg war uns beschieden. Der Bremer Senat unter Vorsitz des Bürgermeisters lenkte ein und wies den Arbeitssenator an, das Bremer Homosexuellenzentrum in den Beirat einzuladen. Die Bremische Bürgerschaft beschied die entsprechende Änderung am 7. Dezember 1988 dann sogar einstimmig.
Bürgermeister An das Bremen, den 7. November 1988 Sehr geehrte Herren, für Ihr an mich übersandtes Schreiben vom 19. Oktober 1988, in dem Sie auf das Unrecht an Homosexuellen während der NS-Zeit hinweisen, danke ich. Ihr Anliegen wurde im Senat behandelt mit dem Ergebnis, dass das Zentrum für Homosexuelle im Beirat für die Beratung von Zuwendungen an NS-Opfer als ständiges Mitglied vertreten sein sollte. Der Senator für Arbeit wird Sie in den nächsten Wochen vor der konstituierenden Sitzung des Beirates ansprechen. Für Ihre zweite Bitte, nämlich eine Ausstellung im Herbst 1989 in der unteren Rathaushalle zum Thema "Homosexuelle im Nationalsozialismus" zu veranstalten, die ich persönlich eröffnen soll, kann ich heute noch keine Zusage machen. Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wedemeier Ehemalige Opfer melden sich Zurück zum BeginnDie Wirkung dieser symbolischen Entscheidung hatten wir dem damaligen Senator Kunick bereits versucht plausibel zu machen. Potenzielle homosexuelle Antragsteller werden nur dann, wenn sie in dem Entscheidungsgremium durch eine offiziell anerkannte Interessenvertretung und deren Repräsentanten Rückhalt erfahren, überhaupt einen Antrag stellen. Denn in jahrzehntelanger Erfahrung haben Homosexuelle immer wieder die Zurückweisung ihrer Anträge erlebt. So war es dann auch. Während sich in Berlin, wo eine entsprechende Regelung ein Jahr früher in Kraft trat, bis heute kein einziger homosexueller Antragsteller gemeldet hat (ähnliches gilt für Hamburg), kann Bremen mit immerhin zwei Antragstellern aufwarten. Angesichts des hohen Alters der Antragsteller war mit einer größeren Anzahl von Antragstellern ohnehin nicht zu rechnen. Für beide Personen konnten wir die Bewilligung von Leistungen nach dem Bremischen Härtefond durchsetzen. Weitere ausführliche Informationen zu diesem Thema sind zu finden in dem Interview mit Karl B. sowie dem Artikel über die Entschädigungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Einen Gesamtüberblick geben die unten angegebenen themenverwandten Links. Themenverwandte Links Zurück zum Beginn
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