CHANGE MUSIK droht mit Hausverbot
Eine böse Überraschung erlebte ich am Samstag, den 18.9.99, beim Besuch eines Punk-Konzertes in der Bremer Friesenstrasse. Dorthin, wo normalerweise immer die Friesencrew Konzerten organisiert, hatte CHANGE MUSIK mit einem nicht gerade pazifistischen Flugzettel zu den Punkbands "Aurora" und "Kafkas" eingeladen. CHANGE MUSIK gilt als das älteste Bremer Punk Label, tritt aber nur noch relativ selten als Veranstalter in Erscheinung. Ihre Mitglieder sind mir zudem nicht namentlich bekannt. Leider ist vorab keiner der Leute auf mich zugekommen, um mich zu der internen Diskussion bei CHANGE MUSIK einzuladen. Dann musste leider kommen, was kam.
CHANGE MUSIK informiert:
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aktives Mitglied in einer Regierungspartei sind, | |
sich öffentlich für Bodentruppen im Kosovo einsetzen und | |
eine Politik machen, die Nazis auf den Straßen marschieren lässt und den antifaschistischen Widerstand spaltet |
Vor dieses Problem sehen wir - Change Musik - uns gestellt, wenn wir einen Menschen, wie Dr. Jörg Hutter auf Konzerten dulden, die von uns organisiert wurden und werden.
Denn Dr. Jörg Hutter
ist aktives Mitglied in der Regierungspartei BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, einer Partei, die den Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien gefordert und unterstützt hat, | |
hat für diese Partei bei der Wahl zur Bremer Bürgerschaft kandidiert, | |
hat als einer der ersten Bremer GRÜNEN während des NATO Angriffskrieges gegen Jugoslawien den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo gefordert, den ersten Kampfeinsatz deutscher Soldaten seit 1945, | |
hat in der Vorbereitung gegen den NPD-Aufmarsch am 1. Mai in Bremen versucht, den antifaschistischen Widerstand zu spalten, indem er dazu aufgerufen hat, den Familienausflug des DGB zum Würstchenfressen auf dem Marktplatz, zu besuchen und damit den Nazis in Sebaldsbrück die Straße freizugeben. Damit hat er eine eindeutige Position gegen das Bündnis "Null Nazis" bezogen, also auch gegen CHANGE MUSIK, und alle anderen Gruppen, die sich daran beteiligt haben, | |
hat eine Position, die es ihm ermöglicht, seine Meinung In einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. |
Diese Punkte waren für uns Grund genug, darüber zu diskutieren, ob wir eine Person wie Dr. Jörg Hutter noch weiter auf Konzerten dulden wollen, die von CHANGE MUSIK veranstaltet werden.
Gründe, die für einen Ausschluss sprechen gibt es genug, aber während der Diskussion stellte sich uns die Frage, ob wir als kleine Gruppe, die das Konzert veranstaltet, das entscheiden wollen. Bei Menschen, von denen bekannt ist, dass sie Rassisten Faschisten und/oder Sexisten sind wollen und können wir dies entscheiden, bei einer Person wie Dr. Jörg Hutter allerdings sind wir gespaltener Meinung.
Aus diesem Grund haben wir entschieden, ihn vorerst weiter auf Konzerten, die CHANGE MUSIK organisiert hat zu dulden und die Diskussion öffentlich zu machen.
DIESES FLUGBLATT SOLL LEDIGLICH UNSERE DISKUSSION ÖFFENTLICH MACHEN! WIR WOLLEN HIERMIT KEINE HETZKAMPAGNE GEGEN DR. JÖRG HUTTER STARTEN!
Jörg Hutter antwortet CHANGE MUSIK
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Ich reagierte mit einem Flugblatt, das ich dann ebenfalls auf den folgenden Punk-Konzerten verteilte Zwischenzeitlich hatte zum Ärger von CHANGE MUSIK auch die Bremer taz von den Vorgängen erfahren und obenstehenden Artikel publiziert. CHANGE MUSIK teilte mir dann mit, dass man zu einem öffentlichen Streitgespräch mit mir bereit sei.
In meinem Flugblatt äußerte ich mich so: Ich nehme wie folgt zu Euren Vorhaltungen Stellung:
Zum Vorwurf, den antifaschistischen Widerstand in Bremen gespalten zu haben:
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Zum Vorwurf, aktives Mitglied in einer Regierungspartei zu
sein und seine Meinung einer breiten Öffentlichkeit präsentieren zu können:
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Einer meiner Arbeitsschwerpunkte innerhalb des grünen Landesvorstandes – in den ich kürzlich wieder hineingewählt worden bin – war und ist die Bremische Innenpolitik. Hier habe ich mich wiederholt gegen eine Verschärfung des Bremer Polizeirechts ausgesprochen. Insbesondere wehre ich mich gegen alle Versuche rechter Politiker, der Polizei bei drohenden gewaltsamen Auseinandersetzungen das Recht einzuräumen, Menschen einzig aufgrund ihres Aussehens vorbeugend in Polizeigewahrsam nehmen zu können. Nach den Massenverhaftungen im Sommer 1996 habe ich öffentlichkeitswirksam protestieren können (Artikel in der Zeitschrift "vorgänge", Erfahrungsbericht in der Frankfurter Rundschau, Interview in Buten und Binnen). | |
Da bei den Anti-NPD-Protesten am 1. Mai erneut umfangreiche polizeiliche Verhaftungen drohten, habe ich in der Szene ein Flugblatt mit der Telefonnummer des Anwaltnotdienstes und der grünen Handy-Nr. (Hucky Heck und mir) verteilt. | |
Öffentlich Stellung bezogen habe ich auch gegen das Ansinnen der Bremer CDU, das Ortsgesetz zu verschärfen. Der öffentliche Alkoholkonsum sollte verboten und der Polizei das Recht eingeräumt werden, gegen unliebsame Personen weitreichende Aufenthalts- und Durchquerungsverbote erlassen zu können (siehe hierzu auch meinen Artikel "Wem gehört die Straße?" in der Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen im Juni 1998). |
Diese Meinung ist auch innerhalb der Grünen umstritten. Sie stellt eine Minderheitenmeinung dar. | |
Ich bin allerdings nach wie vor dieser Auffassung. Denn zum einen werte ich die Bombenangriffe auf Serbien als ineffektiv und gegenüber der Zivilbevölkerung als grausam, eine Einschätzung, die nach der Auswertung der Luftschläge bestätigt worden ist. | |
Das Vorgehen der serbischen Militärs und paramilitärischen Banden gegenüber den Kosovaren bewerte ich zum anderen in seinem Wesensgehalt als faschistisch. Die Menschen sind einzig nach rassistischen Motiven (d.h. aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit) vertrieben und zum Töten hin selektiert worden (Männer im wehrfähigen Alter). "No pasáran!" (Sie werden nicht durchkommen!) lautete das Motto der Internationalen Brigaden beim Kampf gegen die spanischen Faschisten. Auch dann, wenn der Faschismus sein Gesicht geändert hat, gibt es leider Situationen, in denen Vertreibung und Massenmord nur gewaltsam gestoppt werden können (so auch jetzt in Osttimor). | |
Die UNO ist laut eigenem Statut dazu verpflichtet, bei Völkermord militärisch einzugreifen (zwingendes Recht). Jedoch hat der Sicherheitsrat als zuständiges Entscheidungsgremium hierbei schon mehrfach versagt (u.a. in Kambodscha und Ruanda), da nationale Interessen mehr wogen als eine Gesamtverantwortung für das Wohlergehen und die Sicherheit der Menschen. Deshalb begrüße ich die jüngste Forderung des grünen Außenministers Joschka Fischer vor der UN-Vollversammlung, die Verpflichtung zur Durchsetzung der Menschenrechte notfalls über das Prinzip der Souveränität von Staaten zu stellen und des weiteren das Vetorecht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates abzuschwächen. |
Öffentliche Debatte um die Drohung mit dem HausverbotZurück zum Inhalt Zurück zum BeginnDer Abend am 26. Oktober im Sielwallhaus begann zunächst sehr tumultartig. Gestritten wurde weniger um die Frage des antifaschistischen Widerstandes am 1. Mai, auch weniger um das Kosovo, sondern um die spannende Frage, ob linke Politik eher außerparlamentarisch oder auch parlamentarisch betrieben werden dürfe. Zudem stellten mir einige Anwesende die Frage, was mich persönlich dazu motiviere, Punk zu sein. Hinter dieser Frage steht wahrscheinlich der Wunsch nach einer einheitlichen Punk-Identität. Punk zu sein heißt demnach, dass Punker eine in etwa gleichförmige politische Einstellung verbindet. Die Tatsache, dass die Meinungen der Anwesenden bereits bei diesen Fragen auseinander liefen, zeigt meiner Meinung nach, dass es sich bei diesem Anspruch wohl um eine Illusion handelt. Mein Interesse an dieser Subkultur wurde ja gerade deshalb geweckt, weil ich glaubte, dass hier nicht alle im Gleichschritt marschieren. Wenn Punker über Autonome abfällig von den "Automaten" sprechen, dann zeigt diese Distanz doch eher den Anspruch nach Autonomie und Selbstständigkeit. Damit will ich jedoch nicht behaupten, dass alle Meinungen innerhalb der Punker-Szene gebilligt werden. Die Abgrenzung nach rechts wird von allen deutlich gezogen, und das ich finde gut so. Bei der Reflektion meiner politischen Arbeit ging es immer auch um ein Abwägen zwischen außerparlamentarischem und parlamentarischem Engagement. Es gehört wohl zu meiner lebensgeschichtlichen Entwicklung, dass sich dieses von der strikten Orientierung an außerparlamentarischen Initiativen immer mehr hin zur Parteipolitik entwickelt hat. Dies hat zweierlei Gründe: zum einen stieß mein außerparlamentarisches Engagement immer an Grenzen, die die Parteipolitik gesetzt hat. Zum anderen war es meist an einzelne Initiativen gebunden, die meist nur innerhalb ihres selbst definierten Horizontes Ziele verfolgt haben. Die mancherorts fehlende Bereitschaft, Problemfelder in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen, hat bei mir die Erkenntnis reifen lassen, parteipolitisch aktiv zu werden. Dies sind allerdings sehr persönliche Motive. Sie können nicht generalisiert werden. Denkbar ist demnach, dass andere ihre Ziele weiterhin außerparlamentarisch verwirklichen. Ich wehre mich daher gegen ein Ausspielen dieser Aktionsformen. Wir brauchen beides: die trickreiche parlamentarische Arbeit mit langem Atem genauso wie den außerparlamentarischen Widerstand mit immer neuen Aktionsformen. Nicht ein "Entweder oder", sondern ein "Sowohl als auch" sollte das Gebot des politischen Handelns darstellen. Insofern bleibt nach der Debatte um das Flugblatt von CHANGE MUSIK doch ein schaler Nachgeschmack zurück. Anstatt bei unterschiedlichen Auffassungen das Streitgespräch mit mir zu suchen und es in der Sache zu führen, hat CHANGE MUSIK durch das gewählte Vorgehen polarisiert und die Bremer Punks eher auseinander dividiert, als zusammen geschweißt. Daran haben auch die versöhnlichen Töne zum Abschuss der Debatte nichts ändern können. Und das finde ich sehr bedauerlich. Themenverwandte Links Zurück zum Inhalt Zurück zum BeginnWer jetzt doch Interesse an einer inhaltlichen Debatte hat, der kann über den Link zum Kosovo mehr erfahren und sich bei Interesse an der Online-Diskussion beteiligen. Zudem finden sich zum Thema Rechtsextremismus und Nationalsozialismus auf meinem Web etliche Seiten, auf die die unten stehenden Links verweisen. Ich bin im Sommer 2004 bei Bündnis 90/DIE GRÜNEN ausgetreten. Die Begründung meines Parteiaustritte findet sich unter dem folgenden Link: [Parteiaustritt].
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