Mein Parteiaustritt bei den Gruenen

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Austrittserklärung

Reaktion des Bremer Weser Kuriers

Reaktion des Bremer Landesverbandes

Reaktion der Bremer Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck

Weser Kurier: Politiker kehrt den Grünrn wegen Hartz IV den Rücken
Weser Kurier vom 24. August 2004

Austrittserklärung

Lieber Parteivorstand, liebe Marieluise Beck,

hiermit trete ich mit sofortiger Wirkung aus der Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN aus. Dieser Schritt ist mir nicht leicht gefallen und ich habe einige Monate dazu gebraucht, mich hierzu durchzuringen. Ich möchte auch betonen, dass ich ihn nicht mit dem schwulenpolitischen Engagement der Partei oder der Bremischen Politik begründen kann und will. Ausschlag gibt alleine die bundespolitische Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Hier haben die Zumutungen an die Bevölkerung und somit auch an mich ein Ausmaß angenommen, das mich zu diesem Entschluss geradezu gezwungen hat.

Ich möchte meine Entscheidung daher auch begründen. Ich beziehe mich im Folgenden auf die beschlossenen Gesetzesänderungen zum Sozialgesetzbuch II, auch unter dem Begriff Hartz IV diskutiert. Die im Dezember 2003 beschlossene Gesetzesänderung markiert einen fundamentalen Wandel der bislang mit dem Titel der sozialen Marktwirtschaft überschriebenen wirtschaftlichpolitischen Orientierung bundesdeutscher Politik. An diesem Prozess haben Bündnis90/DIE GRÜNEN mit ihrer Debatte um die so genannte Grundsicherung einen maßgeblichen Anteil genommen. Ich habe diesen Diskurs schon immer für verfehlt gehalten und nun bewahrheitet sich, dass er in erster Linie dazu gedient hat, das soziale Sicherungssystem bisheriger Prägung aus den Angeln zu heben. Den Begriff „sozial“ wird man demnach demnächst Dank grüner Mitarbeit aus dem Konzept streichen können.

Ich bewerte die anstehende Gesetzesänderung als einen schwerwiegenden Fehler. Hier stimmt bereits die eingeschlagene Richtung nicht, so dass es auch wenig Sinn macht, auf korrigierende Nachbesserungen zu warten. Hierbei ärgert mich besonders, dass der wesentliche Grund für die wachsende Arbeitslosigkeit völlig aus dem Blick geraten ist. Analysten sind sich einig, dass die ansteigende Arbeitslosigkeit in der wachsenden Produktivität der Wirtschaft begründet ist. Der technologische Wandel erlaubt es, immer mehr Güter durch immer weniger Menschen zu produzieren. Demnach werden die billigsten Arbeitnehmer der Welt nicht in der Lage sein, um mit der heutigen und zukünftigen Technik zu konkurrieren. Diese an sich positive Entwicklung verkehrt sich meiner Meinung nach nur deshalb in ein Problem, weil die Produktivitätszuwächse nur einem Bruchteil der Bevölkerung zugute kommen. Rotgrün hat dieses Verteilungsproblem dramatisch verschärft, indem es einigen industriellen Lobbyisten größte Gewinnmaximierung zugesichert hat (so jüngst etwa der Pharmaindustrie) und global agierende Unternehmen in Folge Gewinne wie noch nie einfahren. Der Staat hingegen muss (durch Zugeständnisse oder fehlerhafte Gesetzgebung) auf immer mehr Steuereinnahmen dieser Unternehmen verzichten. Vodafone ist hier sicher nur die Spitze des Eisbergs. Da bei gleichzeitig sinkender Beschäftigung in der logischen Folge die Steuereinnahmen des Staates weg brechen, sollen jetzt im Rahmen von Hartz IV die kleinen Vermögen der Arbeitslosen geplündert werden. Denn diese Gruppe hat keine Lobby und kann sich – so das politische Kalkül – nicht wirklich gegen den geplanten Sozialabbau wehren.

Ich möchte zwei Bestandteile des zukünftigen Sozialgesetzbuches II, die diese Zumutungen festschreiben, besonders hervorheben. Sie betreffen die zukünftigen Regelungen zur Bedürftigkeit und zur Zumutbarkeit von Arbeit.

Die Paragrafen 11 und 12 des zukünftigen SGB II regeln das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen der Langzeitarbeitslosen. Anerkannt und akzeptiert werden demnach in Zukunft nur noch Vermögen von 200 Euro pro Lebensjahr sowie ein selbst genutztes Eigentum von angemessener Größe oder Altersvorsorge nach Bundesrecht. Die Bevölkerung hat ihre Vorsorge für das Alter allerdings weit facettenreicher gestaltet, als es der einfältige Gesetzgeber hier festgeschrieben hat. Die Riester-Rente stellt nun einmal eine der schlechtesten Anlageformen dar, so dass es ein ganzes Bündel von privater Vorsorge gibt, das im Falle von Arbeitslosigkeit zur Disposition steht. Der Zwang, diese privaten Vermögen erst einmal zu verbrauchen, kommt meiner Meinung nach einer Enteignung gleich. Sie trifft zudem nicht diejenigen, die von ihrem Vermögen selbst leben könnten, sondern in erster Linie Menschen mit eher kleineren Vermögen, gebildet etwa zur Altersvorsorge oder Finanzierung von Ausbildung der eigenen Kinder. Mit diesen Vorschriften werden alle Appelle zur privaten Altersvorsorge konterkariert. Denn hier ist ein Damm gebrochen. Wer kann schon darauf vertrauen, dass die Riester-Rente auch zukünftig nicht angetastet wird oder die selbst genutzte Wohnung noch als angemessen gilt. Die Botschaft ist eindeutig und klar und sie wird von den Menschen – ob arbeitslos oder noch in Beschäftigung - auch verstanden. Arbeitslosigkeit kann jeden treffen und sie wird zur Armutsfalle, denn sie degradiert jeden zu einem mittellosen Fürsorgeempfänger. Die Wohlhabenden dieser Gesellschaft hingegen werden von jeder Zumutung verschont. Im Gegenteil: Die kommende Senkung des Spitzensteuersatzes schafft für sie die Möglichkeit, völlig risikolos noch mehr Vermögen anzuhäufen.

Paragraf 9 SGB II schließlich schließt von der Hilfebedürftigkeit auch alle Personen aus, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben und verlangt, das Einkommen und Vermögen des Partners anzurechnen. Dieser Passus trifft besonders viele arbeitslose und verheiratete Frauen. Ich kann hierbei nicht mehr nachvollziehen, dass eine Partei, die Frauenrechte immer ganz groß auf ihre Fahnen geschrieben hat, eine derart die Frauen benachteiligende Vorschrift mit trägt.

Paragraf 10 SGB II regelt dann die Zumutbarkeit von angebotener Arbeit. Zumutbar ist – mit wenigen Ausnahmen – jede Arbeit. Dieser Passus ist in seiner Tragweite und negativen Auswirkung kaum zu überbieten. Hiermit meine ich nicht nur die persönlichen Auswirkungen für die direkt Betroffenen. Letztlich negiert dieser Paragraf nämlich die berufliche Bildung insgesamt. Auch hier ist die Botschaft klar und eindeutig. Ausbildung zählt nicht mehr, egal ob Akademiker oder gelernter KFZ-Mechaniker: Im Falle von Arbeitslosigkeit muss jede Arbeit angenommen werden. Berufliche Bildung kann somit nicht mehr zur zukünftigen Absicherung von Lebensqualität herhalten. Warum sollten junge Menschen also heute noch bei schmalem Einkommen studieren oder sich beruflich bilden, wenn diese Qualifikationen im Falle von Arbeitslosigkeit nichts mehr wert sind? Hier verspielt ein Land sein wesentliches Arbeitskapital. Unser wirtschaftliches Leistungsvermögen verdanken wir doch in erster Linien den beruflich qualifizierten Arbeitnehmern. Doch hier hat die rotgrüne Bundesregierung bereits durch den dramatischen Abbau der beruflichen Fort- und Weiterbildung gezeigt, dass sie berufliche Qualifizierung und Ausbildung eher als Ballast statt als Zukunftsinvestition versteht. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um zu prognostizieren, dass wir in wenigen Jahren einen eklatanten Mangel an Facharbeitern zu beklagen haben.

Die ehemals qualifizierten Arbeitnehmer harken ja derweil öffentliche Grünanlagen oder verrichten ihren Job bei den Wohlfahrtsverbänden. Es ist geradezu ein Hohn, wenn diese von der Schaffung neuer Arbeitsplätze sprechen. Stattdessen handelt es sich hier doch um staatlich subventionierte prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu einem Minimalverdienst. Denn sicher wird sein, dass derart deklassierte Langzeitarbeitslose keine Chance mehr auf Zugang zum ersten Arbeitsmarkt haben werden. Zu befürchten ist, dass die Wohlfahrtsverbände das staatliche Angebot nicht nur dazu nutzen, die zukünftig fehlenden Zivildienstleistenden durch Langzeitarbeitslose zu ersetzen. Da auch die Wohlfahrtsverbände heute unter verstärktem ökonomischen Druck stehen, wird es hier wohl zu einem staatlich subventionierten Abbau von Arbeitsplätzen kommen.

Mein Resümee: Das gesamte Gesetzeswerk reduziert das Problem der Arbeitslosigkeit auf ein Vermittlungsproblem. Da nicht alle Arbeitslose zu vermitteln sein werden, wird man eine große Anzahl in prekäre, quasi unbezahlte Beschäftigungsverhältnisse pressen oder, falls nicht gefügig, mit Geldsperren überziehen. Langzeitarbeitslose werden keine Chance mehr haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die noch Beschäftigten können in dieser Situation leicht unter Druck gesetzt werden: Die Folge werden Gehaltsdumping und Mehrarbeit sein.

Die Zahl der Arbeitslosen wird hingegen weiter steigen. Von gerechter Verteilung der immer weniger anfallenden Arbeit sind wir weiter denn je entfernt. Dank rotgrüner Grundsicherung! Wie weit von der Realität haben sich eigentlich die heutigen Bundestagsabgeordneten entfernt? Wahrscheinlich können Sie die Ängste und Sorgen der Bevölkerung deshalb nicht mehr nachvollziehen, da sie selbst bei einer Abwahl um ihre eigenen Bezüge nicht zu fürchten brauchen.

Da ich nicht davon ausgehe, dass die bündnisgrünen Abgeordneten ihre Entscheidung zur Sozialgesetzgebung noch revidieren, trete ich aus der Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN aus. Weil ich als ehemaliger Bürgerschaftskandidat nach wie vor als grünes Parteimitglied wahrgenommen werde, dies auf meiner Webseite dokumentiere und derweil noch zu grünen Parteigliederungen und Abgeordneten verlinke, komme ich nicht umhin, meinen Entschluss auch zu veröffentlichen.

Ich bitte schließlich noch um Bestätigung meines Parteiaustrittes und um Zusendung einer abschließenden Spendenbescheinigung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jörg Hutter

Reaktion des Bremer Weser Kuriers

Politiker kehrt den Grünen wegen Hartz IV den Rücken
Hutter: Gesetzesänderung ist ein schwerwiegender Fehler

Von unserem Redakteur
Michael Brandt

"Jörg Hutter, der sich aufgrund seines punkigen Haarschnitts einen Ruf als Bremens schrillster Politiker erworben hat, kehrt eben dieser Politik zumindest auf dem Papier den Rücken. Mit einem Schreiben an den Parteivorstand der Grünen und an Marieluise Beck erklärte der frühere Bürgerschaftskandidat seinen Austritt. Begründung in Kurzform: Hutter ist mit der Beteiligung seiner bisherigen Partei an der Hartz IV-Gesetzgebung nicht einverstanden."

Mit dieser Einleitung kommentiert der Bremer Weser Kurier meinen Parteiaustritt, um sogleich zu betonen, dass es weder bei der SPD noch bei den Grünen eine Austrittswelle wegen Hartz IV gebe. Weiter heißt es dann:

"Hutter geht mit der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik hart ins Gericht. Das soziale Sicherungssystem werde aus den Angeln gehoben, urteilt er. Und dank grüner Mitarbeit könne der Begriff "sozial" demnächst aus dem Konzept gestrichen werden. "Ich bewerte die anstehende Gesetzesänderung als einen schwerwiegenden Fehler." Es mache auch keinen Sinn, auf korrigierende Nachbesserungen zu warten. Jörg Hutter befürchtet, dass das derzeitige Gesetzeswerk keinen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit bietet, sondern einen weiteren Anstieg der Arbeitslosenzahlen zur Folge haben wird. Er habe sich seine Entscheidung, die Grünen zu verlassen, in den vergangenen Monaten nicht einfach gemacht."

Reaktion des Bremer Landesverbandes

Lieber Jörg,

hiermit bestätige ich den Eingang deines Schreibens vom 18. August, in dem du mit ausführlicher Begründung deinen Parteiaustritt erklärst. Ich hatte den Brief deinem Wunsch entsprechend gleich nach Erhalt an den Landesvorstand und Marie weitergeleitet, ebenso Einigen im Hause zur Kenntnis gegeben. Ich kann dir mitteilen, dass die meisten sehr betroffen reagiert haben, dich als engagierten Mitkämpfer zu verlieren. Auch ich selbst finde diesen Schritt sehr bedauerlich, wenn auch sehr gut nachvollziehbar. Inwiefern deine düstere Prognose zu den Auswirkungen von Hartz IV zutreffen, wird sich frühestens im Frühjahr/Sommer nächsten Jahres zeigen, gleichwohl werden deine Bedenken von vielen geteilt. Dennoch - und das weißt du auch - gibt es durchaus positive Seiten beim ALG II, z.B. die Besserstellung von SozialhilfeempfängerInnen und Alleinerziehenden & deren Einbeziehung in die Arbeitsvermittlung, nicht zuletzt die Tatsache, dass Sozialpolitik und speziell die Lage von SozialhilfeempfängerInnen endlich in den öffentlich Focus genommen wird. Die Chance der GRÜNEN, noch positiv in Richtung Nachbesserungen Einfluss zu nehmen, sind angesichts einer quasi großen Koalition in Berlin allerdings sehr gering, das zeigte sich auch schon beim Zuwanderungsgesetz, wo wir manche Kröte zu schlucken hatten.

Der Landesvorstand nimmt deinen Austritt also mit Bedauern zur Kenntnis und bedankt sich für dein jahrelanges Engagement für die Partei. Dein Austritt wird zum 31. August wirksam, der bereits eingezogene Beitrag für den September wird dir zurück erstattet. Die Spendenbescheinigung erhältst du Anfang kommenden Jahres.

Ich wünsche dir für die Zukunft alles Gute und hoffe, dass du uns doch noch gewogen bleibst - was wäre die Alternative?

Mit bündnisgrünen Grüßen

Björn

Reaktion der Bremer Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck vom 8.10.2004

"HANDSCHRIFTLICH
Lieber Jörg,
in der Regel kommt bei solchen Entscheidungen ja immer mehreres zusammen. Schade - wo willst Du Deine politische Heimat suchen?" HANDSCHRIFTLICH ENDE

>Nein, bei mir war die Agenda 2010 und Hartz IV der entscheidende Grund zum Parteiaustritt. Jörg Hutter<

"Wir sind fest davon überzeugt, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ein richtiger Schritt ist" ... "Die Berücksichtigung von privatem Vermögen bei der Feststellung der Hilfebedürftigkeit ist im Grundsatz notwendig und richtig."

>Da widerspreche ich entschieden. Die Zusammenlegung ist eine der größten Ungerechtigkeiten, die eine Regierung hat einführen können. Es macht einen Unterschied, ob jemand jahrelang in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt hat, oder ob jemand aus persönlichen Gründen nie hat einzahlen wollen. Die Differenzierung zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe war zwar auch schon grobschlächtig, aber um ein Vielfaches gerechter, als die jetzige Regelung. Ich bin der Meinung, dass zu unterscheiden ist, ob eine Frau oder ein Mann Altersvorsorge etwa durch Ansparung oder Eigentumserwerb geleistet hat oder sie/er sich ganz auf die staatliche Fürsorge verlassen hat.<

"Die Möglichkeit zur unmittelbaren Umsetzung der eigenen Vorstellungen ist durch Koalition und mehr noch durch die Mitsprache des Bundesrats deutlich begrenzt."

>Das ist schon ein Offenbarungseid. Er besagt, dass quasi seit der Bundestagswahl 2002 Regierungsbeschlüsse nur noch durch eine große Koalition von CDU und SPD zustande gekommen sind. Hartz IV und die Agenda 2010 sind sind somit Ergebnisse dieses großen Absprachebündnisses. Daher kann es 2005 gar keinen Lagerwahlkampf mehr zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb geben. Es stellt sich eben nur noch die Frage, ob nach Hartz IV Schwarz-Gelb durchmarschiert oder durch eine starke linke Opposition in eine Schwarz-Rote Regierung gezwungen wird. Diese große Schwarz-Rote und wohl auch erfolglose Koalition wird das erwartbare Resultat der stümperhaften Rot-Grünen Koalition der letzen Jahre darstellen. Deshalb bleibt nur die Wahl der Linkspartei! Nur so lässt sich Schwarz-Gelb verhindern. Davon jedenfalls bin ich fest überzeugt.

Jörg Hutter<

Bremer Aufruf zur Wahl der Linkspartei: Diesmal links wählen!

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