Die SchwulLesbischen Studien an der Universität Bremen
Die Gründung der SchwulLesbischen StudienDie Gründung dieser Forschungs- und Lehreinheit an der Universität Bremen ist dem frischen Wind zu verdanken, die 1991 eine neue Bremer Regierungskoalition aus SPD, F.D.P. und den Bremer Grünen durch den Stadtsaat wehen ließ. So schöpften wir an der Universität die Hoffnung auf Etablierung unserer schwul-lesbischen Lehr- und Forschungsaktivitäten. Trotzdem dauerten unsere zähen Verhandlungen drei Jahre, bis Ihnen Erfolg beschieden war. Unglücklicherweise fiel die erfolgreiche Gründung mit dem unschönen Ende der damaligen Koalition zusammen. Sie stolperte über die nach EU-Recht verbindlich vorgeschriebenen und dann von dem nachfolgenden Senat wieder zurückgenommenen Anmeldung ausgewiesener Vogelschutzgbiete durch den damaligen grünen Umweltsenator Ralf Fücks. Eine unter dem Namen "Piepmatzaffäre" bekannt gewordene Politposse, die nicht nur den unglücklichen Weg zur bis heute andauernden großen Bremer Koalition aus SPD und CDU ebnete, sondern die die Regierenden bis zum Jahr 2000 verfolgt. Heute drohen Bremen Strafmaßnahmen der EU, da die Gebiete noch immer nicht gemeldet sind. Die Gründung der SchwulLesbischen Studien - so muss man heute resümieren - stand somit damals schon unter einem unglücklichen Stern. Wir konnten zwar von der noch unter dem "Ampel-Senat" ausgehandelten dreijährigen Anschubfinanzierung zehren, doch uns war klar, dass 1999 ein Regierungswechsel kommen musste, damit unser Projekt überleben kann. Das politische Klima stellte sich jedoch gegen jeden politischen Wechsel. Nur der Zusammenschluss der großen Parteien sollte Bremen vor der drohenden Schuldenfalle retten können. Diese zum ausschlaggebenden Motiv erkorene politische Handlungsmaxime reduzierte das Problem auf eine rein ökonomische Gleichung. Dass ein Sozialsystem auch von seinem politischen, sozialen und kulturellen Potential lebt, ist bei SPD und CDU völlig in Vergessenheit geraten. Die nicht mehr zu verleugnende und sich verstärkende Abwanderung aus Bremen und Bremerhaven straft die auf rein ökonomische Variablen setzende Politik mit Lügen, denn die damit einhergehenden sinkenden Steuereinnahmen belasten den Bremer Staatshaushalt weit mehr als die zuvor verbuchten Einsparungen. Ein innovatives universitäres Forschungsprojekt hätte somit Profil und Ausstrahlung der Universität und damit des ganzen Bundeslandes Bremen verbessern können. Das war unter rot-scharz nicht mehr gewollt. Somit besiegelte der erneute Wahlsieg von CDU und SPD im Juni 1999 auch das Ende der Schwullesbischen Studien. Doch hier will ich noch einmal zurückblicken auf das Jahr 1995, das Gründungsjahr der SchwulLesbischen Studien. Die taz bremen berichtete am 5. Juli 1995 über die Eröffnungsveranstaltung: Schwule und Lesben erforschen Copyright © taz bremen. Alle Rechte vorbehalten. Der hier veröffentlichte Artikel ist urheberrechtlich geschützt und darf nur zu privaten Zwecken heruntergeladen oder ausgedruckt werden. Für andere Absichten - insbesondere das Einstellen auf Webseiten - ist das Einverständnis des jeweiligen Publikationsorganes. einzuholen. Auf dem Berliner Ku-Damm war es am Samstag eine große Party, im Theatersaal der Bremer Universität ging es am Montag weniger um Fummel und Technomucke, aber ebenfalls um homosexuelle Identität: Die neue Studieneinheit SchwulLesbische Studien im Fachbereich der empirischen und angewandten Soziologie (EMPAS) hatte zur Eröffnungsveranstaltung geladen. Die Bremer Forschungseinheit ist die Erste ihrer Art in Deutschland. Schwule und Lesben sind zwar im öffentlichen Leben immer mehr präsent, sie zum "offiziellen" Forschungsgegenstand zu machen, ist jedoch noch immer neu. Bereits um die Jahrtausendwende gab es erste Forschungsaktivitäten zur Homosexualität, die jedoch 1933 abgebrochen werden mussten, so Professor Rüdiger Lautmann, Initiator der Forschungseinheit und seit 23 Jahren Dozent an der Uni Bremen. Erst in den Siebzigerjahren wurden in den Niederlanden an den Universitäten Utrecht und Amsterdam Homostudien eingerichtet, die den Bremer ForscherInnen als Vorbilder dienten. Eher als Zentrum und weniger als eigenständiges Institut bezeichnet sich die neue Studieneinheit. Forschung und Lehre sollen eng aneinander gekoppelt und die Lehrveranstaltungen interdisziplinär vor allen in den Fachbereichen Soziologie, Psychologie und Kulturwissenschaften angeboten werden. Im Charakter des Zentrums, so Lautmann, liege auch der Unterschied zu den schon seit Jahren zum Veranstaltungsprogramm der Uni Bremen gehörenden "Homostudien". Inhaltlich geplant sind zunächst Forschungsprojekte zu Familie und homosexuellem Coming-out (geleitet von Dr. Rainer Hoffmann), zur in den Wissenschaften immer noch vernachlässigten Bisexualität sowie das Projekt "Homosexualität und Faschismus" zum Schicksal der schwulen und lesbischen Häftlinge der nationalsozialistischen Strafgefangenenlager des Emslandes. Dieses sei jedoch fürs Erste das einzige Projekt, das sich mit politischer Repression von Homosexuellen beschäftige, so Initiator Dr. Jörg Hutter. Die Diskussion dieser Themen gehe nach und nach zurück - ein Zeichen für die langsame Etablierung der Schwulen und Lesben in der Gesellschaft. So sei das Ziel der Studieneinheit, die vielfältigen Möglichkeiten der homosexuellen Lebensgestaltung nachzuempfinden und "die Schwulen und Lesben eigene Kultur in der Gesellschaft" zu entdecken, wie Lautmann ergänzte. Nicht nur "Homos" arbeiten an den Schwullesbischen Studien mit; gerade Heteros seien sehr willkommen, da sich eine gewisse Distanz zum "Forschungsgegenstand" auf die Arbeit auswirke, so Geschäftsführerin Dr. Brigitte Honnens. Bei seinen bisherigen Vorlesungen zum Thema Homosexualität schätzt Lautmann den Anteil der Homo- und heterosexuellen StudentInnen etwa halb-halb. Die finanzielle Basis der Forschungseinheit ist für die nächsten Jahre weitgehend gedeckt. Für die Schwullesbischen Studien machte das Land Bremen zunächst eine dreijährige Startfinanzierung (zwei halbe Stellen plus Sachmittel) locker. Für den Rest und vor allem für die Zeit danach müssen jedoch Drittmittel her. Unter dieser Bezeichnung läuft bereits die finanzielle Förderung des Projektes Homosexualität und Faschismus, das vom niedersächsischen Bildungsministerium eine Finanzspritze erhält. rem Das Mitarbeiterteam Zurück zum BeginnAnfangs firmierten die SchwulLesbischen Studien noch in Anlehnung an die niederländischen Vorbilder unter dem etwas uneindeutigen Namen "Homostudien". Mittlerweile glaube ich, dass der neue Name sowie unser Programm alle Merkmale der viel diskutierten aber wenig ausformulierten Programmatik von Queer-Identität und Queer-Politik trägt. In dem Faltblatt der SLS heißt es u.a., dass "verschiedene Sexualitäten" in den Focus der Betrachtung geraten sollen. Diese Sexualitäten seien kein "Ausdruck eines vorsozialen Triebes, sondern vielmehr Resultat sozialer und persönlicher Erfahrung. (...) Sexuelle Handlungsorientierungen verweisen somit immer auch auf ein Element von Lebensform: Sie sind verknüpft mit Lebensstilen, in die gesellschaftliche Strukturen genauso hineinreichen wie der Gestaltungswillen des einzelnen Individuums". Diese Vielfalt von Lebensform dokumentiert - so glaube ich - auch unser Gruppenbild recht eindrucksvoll.
Die Lehrveranstaltungen Zurück zum BeginnAn dieser Stelle will ich keinen vollständigen Überblick über unser damaliges Lehrangebot geben. Es kann eingesehen werden unter dem folgenden Link zu den SchwulLesbischen Studien (Bild anklicken): Beispielhaft soll eine meiner Lehrveranstaltungen aus dem Sommersemester 1997 beschrieben werden. Alle dieser Angebote sind in unseren Semesterrundbriefen detailliert angekündigt worden. Sozialgeschichte der Homosexualitäten Zurück zum BeginnVeranstalter: Jörg Hutter (Lehrbeauftragter) Seminar im Hauptstudium. Eignung für Student(Inn)en aus den Studiengängen Soziologie, Kulturwissenschaft und Geschichtswissenschaften.Auch dann, wenn es gleichgeschlechtliche Sexualkontakte gewissermaßen als anthropologische Konstante in allen Kulturen der Vergangenheit gegeben hat, ist die moderne Homosexualität eine besondere Form, ohne Vorbild in der Geschichte. So ist selbst der Begriff erst vor knappen 128 Jahren erfunden worden. Deshalb kann es in diesem Seminar nur um die Geschichte der sexuellen Kontakte zwischen Frauen (WSW=women have sex with women) und zwischen Männern (MSM=men have sex with men) gehen. Die Reise in die Vergangenheit soll einmal nicht - wie das bei historischen Betrachtungen sonst so üblich ist - bei den ältesten Kulturen beginnen. Statt dessen starten wir bei der uns noch vertrauten Vormoderne mit ihren (Homo-)sexualitätskonzepten, Partnerschaftsformen und Geschlechtsvorstellungen (Konstruktionen der Aufklärung), um von dort aus in die Fremde, d.h. die Renaissance, das Mittelalter und zuletzt die (römische und griechische) Antike vorzustoßen. Das Vorgehen ist mit dem Anspruch verbunden, die auffallend zahlreichen Publikationen kritisch dahingehend zu überprüfen, ob die VerfasserInnen die Spezifität der jeweiligen Kultur zu verstehen versuchen oder ob heutige Konzepte einfach auf die Vergangenheit übertragen werden. Eine solche Prüfung setzt die Kenntnis der innerhalb der schwullesbischen Wissenschaftstheorie im Streit stehenden Positionen des biologischen Essentialismus und des sozialen Konstruktivismus voraus. Da die Zeugnisse weibweiblicher Sexualkontakte weit spärlicher gesät sind und somit seltener erforscht und interpretiert worden sind, sollen die diesbezüglich einschlägigen Publikationen in diesem Seminar mit besonderer Sorgfalt ermittelt und in ausreichendem Umfang diskutiert werden. Solide Englischkenntnisse sind bei der überwiegend englischsprachigen Literatur erforderlich. Eine nach Epochen gegliederte Literaturliste ist beim Veranstalter erhältlich. Literatur zur Vorbereitung:De Cecco, John P. und John P. Elia: A Critique and Synthesis of Biological Essentialism and Social Constructionist Views of Sexuality and Gender, in: Journal of Homosexuality, Band 24, Nummer 3/4, New York 1993. Die ForschungsaktivitätenDieses hier vorgestellte Forschungsvorhaben hatte bereits die taz bremen in ihrem Eröffnungskommentar erwähnt. Für das von mir konzipierte Projekt sind die Gelder zwar vom niedersächsischen Bildungsministerium bewilligt worden, eine Mitarbeit meinerseits lehnte das Ministerium hingegen wegen "Überqualifizierung" (Promotion) ab. Somit sind die Mittel ganz nach Oldenburg geflossen. Michael Sartorius konnte davon leider nicht mehr profitieren, da er an Aids verstorben war. Was letztlich aus der Oldenburgischen Forschungstätigkeit erwachsen ist, ist mir leider nicht bekannt.
Die Gastvorträge Zurück zum BeginnAn dieser Stelle kann ich nur einen Gastvortrag exemplarisch vorstellen. Einen Gesamtüberblick bietet immer noch die Website der Schwullesbischen Studien an der Universität Bremen. Ich habe hier den Gastvortrag von Judith Schuyf aus Utrecht gewählt. Sie hat ihn im Wintersemester 1995/96 gehalten. Der Ankündigungstext aus dem Semesterrundbrief Nr. 3 lautet wie folgt: Judith Schuyf (Utrecht)SchwulLesbische Biographien: die Älteren
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Judith Schuyf, 1951 geboren, Magister artium in Frühgeschichte und promoviert in Geschichte, hat die Abteilung für Lesbische und Schwule Studien (Homostudies) an der Universität Utrecht mitbegründet. Ihre Forschungsinteressen kreisen um die Wechselwirkungen zwischen dominanter und peripherer Kultur hinsichtlich ihrer Ideologien, Sexualitäts- und Körperkonzepten. Die Titel ihrer jüngsten Veröffentlichungen lauten: 'Een Stilwijgende Samenzwering' (Das verabredete Stillschweigen. Die Geschichte der Lesben in den Niederlanden von 1920 bis 1970) und ' Heidens Nederland' (Heidnische Niederlande. Sichtbare Zeugen einer nichtchristlichen Vergangenheit, Utrecht 1995).
Gegenwärtig arbeitet sie in einem Forschungsvorhaben über die Lebensgeschichten und aktuellen Lebensbedingungen von älteren Lesben und Schwulen. Die Ergebnisse werden gegen Ende des Jahres veröffentlicht. Zudem sucht und erprobt sie Rezepte der alten niederländischen Küche, um sie später in einem Buch publizieren zu können."
Eines unserer Highlights stellte wohl die Ausstellung "Sexualwissenschaft" der Berliner "Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft" in der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen dar. Sie dokumentiert die Arbeit des Berliner "Institutes für Sexualwissenschaft" unter der Leitung des Arztes Magnus Hirschfeld in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Karikatur von Karl Arnold aus der politisch-satirischen Wochenschrift "Simplicissimus" im Jahr 1924, mit der wir für die Ausstellung warben, hat an ihrer Aktualität noch nichts verloren.
Dass es bei der
Eröffnungsveranstal- |
Schließlich soll auch Erwähnung finden, dass wir auf den CSD-Umzügen in Oldenburg von 1995 bis 1998 präsent waren. Die folgenden Bilder zeigen unser Banner und unseren Stand auf dem zentralen Schlossplatz, auf dem die Abschlusskundgebung stattfand. (Bilder in Miniaturansicht anklicken, um sie in Originalgröße zu sehen).
Aktueller Link zur jetzigen Erinnerungsseite des Hochschullehrers Rüdiger Lautmann.
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