Von der Sodomie zu Queer-Identitäten Copyright © Dr. Jörg Hutter. Alle Rechte vorbehalten. Der hier veröffentlichte Artikel ist urheberrechtlich geschützt und darf nur zu privaten Zwecken heruntergeladen oder ausgedruckt werden. Für andere Absichten - insbesondere das Einstellen auf Webseiten - ist das Einverständnis des Verfassers und des jeweiligen Publikationsorganes einzuholen. Von der Sodomie zu Queer-Identitäten EinleitungDas Phänomen ‘Homosexualität’ trennscharf zu bezeichnen, fällt zunehmend schwer. Das Kriterium ‘Men have sex with men (MSM)’ genügt kaum, um auf sozial ähnliche Merkmale schließen zu können. In der sozialwissenschaftlichen Literatur über den Prozentsatz der ‘Homosexuellen’ wird differenziert zwischen verschiedenen Komponenten der Homosexualität, die singulär oder in verschiedenen Schnittmengen anzutreffen sind: der homoerotische Wunsch, das gleichgeschlechtliche Verhalten und die wie immer geartete schwule Identität. Wenn wir heute von schwulen Lebensstilen und schwulen Identitäten (die Betonung liegt auf dem Plural) sprechen, verweist diese Ausdrucksweise auf einen langen Entwicklungsprozess. Ich will versuchen, diesen Entwicklungsprozess nachzuzeichnen. Er ist abhängig von den allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, und diese bestimmen die soziale Lage der gleichgeschlechtlich Handelnden. Die jeweilige soziale Situation wiederum prägt und steuert die individuelle Deutung sexueller Erlebnisse. Wenn die Betroffenen solche Situationen in einen sinnhaften biografischen Zusammenhang bringen, wirken sie identitätsbildend und bestimmen zugleich die jeweiligen politischen Handlungsziele. Kulturanthropologische Studien der 1980er-Jahre haben unterstrichen, dass sich unser westliches Verständnis von Homosexualität nicht auf andere Kulturen übertragen lässt. Charakteristika von rituellen Homosexualitäten und alternativen Geschlechtsrollen wie etwa die indianischer ‘Berdache’ Nordamerikas1 oder rituelle gleichgeschlechtliche Handlungen in Melanesien2 weisen mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten mit dem westlich geprägten Homosexualitätsmodell auf. Kategorien wie ‘homosexuell’ oder gar ‘schwul’ können nicht einfach auf die melanesische Kultur übertragen werden.3 Gleiches gilt für den historischen Vergleich. Michel Foucaults Analyse der griechischen Polis-Ethik etwa verdeutlicht, dass die Liebesbeziehungen der Männer zu den Knaben nur zu verstehen sind vor dem Hintergrund der damaligen moralphilosophischen Reflexionen über Liebe. Im Unterschied zur Frau oder zum Sklaven, die in der griechischen Polis nicht Gegenstand moralischer, sondern eher ökonomischer Sorge waren, zählten die männlichen jugendlichen zu den potenziell freien Staatsbürgern. Dies verbot, sie zum sexuellen (Lust-)Objekt zu machen. Die ideale Liebesbeziehung war demnach geprägt durch das Prinzip der Selbstbeherrschung (enkrateia). Dem Mann ging es im Umgang mit dem Jugendlichen darum, zu erfahren, »wie man in der Herrschaft, die man über sich selber ausübt ... der Freiheit4 des anderen Platz einräumen kann.« US-amerikanische ForscherInnen, die den Vergleich der ‘Homosexualitäten’ in den verschiedenen Kulturen und Epochen besonders vorangetrieben haben, haben in den 1980er und 1990er Jahren die Debatte um den Stellenwert von Umwelteinflüssen und biologischer Determiniertheit besonders leidenschaftlich geführt. Essenzialismus versus Konstruktivismus waren die Schlagworte bzw. Angeborenheit und Umweltprägung, Körper statt Geist, Biologie oder Kultur, nature or nurture John P. De Cecco, Herausgeber des »Journal of Homosexuality«, hat folgende Synthese beider Positionen angeboten: Bei allen Organismen sei das Ganze nicht nur mehr als die Summe seiner Teile, verschiedenartig seien meist auch die einzelnen Bestandteile sowie die jeweiligen Zutaten. Die Genese einer sexuellen Präferenz könne man mit dem Backen eines Kuchens vergleichen: Das Resultat bestimmen neben den Zutaten wie Butter, Zucker, Mehl und Backpulver auch das jeweilige Mischungsverhältnis und der Backvorgang bei einer bestimmten Temperatur. Übertragen auf sexuelle Vorlieben bedeutet dies: Gene, Hormone oder Hirngewebe führen zwar in bestimmter Art und Weise entweder zu einer heterosexuellen oder homosexuellen Präferenz. Gleichwohl können wir diese Präferenz niemals auf einzelne körperliche Stoffe oder ihre Mengenverhältnisse reduzieren. Sie werden durch menschliche Erfahrung in biografischer wie historischer Hinsicht ständig transformiert.5 Historische wie kulturelle Studien zeigen, dass sich die Muster des homosexuellen Verhaltens in dem Maße wandeln, wie Individuen und Gesellschaften ihre Interpretation von Geschlecht und Sexualität verändern. Das einzelne Individuum kann sich den gesellschaftlichen Deutungen nicht einfach entziehen, zumal dann nicht, wenn derartige Verhaltensweisen unter starkem Kriminalisierungsdruck stehen. Identität im soziologischen Sinne kennzeichnet eine symbolische Struktur, die es einer Person erlaubt, im Wechsel der biografischen Erlebnisse Kontinuität und über verschiedene soziale Positionen hin Konsistenz herzustellen. Ich bin überzeugt, dass ein gleichgeschlechtlich verkehrender Mann seine wie auch immer geartete abweichende Identität nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber anderen behaupten muss. Das ‘Mit-sich-selbst-Identifizieren’ stellt keinen einsamen, privaten Vorgang dar; der Erwerb einer abweichenden Identität ist auch von den Mitmenschen (Familie, Arbeitskollegen, Bekannte etc.) abhängig. Der Identitätsbegriff bringt Subjektives und Soziales in einen Verständigungszusammenhang. Gesellschaftliche Deutungsmuster prägen und steuern die individuelle Interpretation sexueller Erlebnisse und nehmen über die Deutungs- und Interpretationsebene indirekt Einfluss auf das Sexualleben der Individuen. Im Folgenden unternehme ich gewissermaßen eine Tour d’horizon durch die homosexuelle Identitätsgeschichte. Ich unterscheide vier Phasen:6
Das transgenerationale HomosexualitätsmodellBis weit in das 17. Jahrhundert haben wir es mit einer hierarchisch strukturierten Ständegesellschaft zu tun. Feste Rangordnungen herrschten zwischen den Klassen wie zwischen den Generationen und Geschlechtern. Sie manifestierten sich in Form moralischer Überlegenheit, welche die eine Klasse über die andere, die ältere Generation über die jüngere oder das männliche Geschlecht über das weibliche besaß.7 Eine derartig starre hierarchische Sozialstruktur ließ sich nur durch massive Zwangsmittel und offene Gewalt aufrechterhalten. Die »Halsgerichtsordnung« von 1532 (Constitutio Criminalis Carolina) dokumentiert dies recht eindrucksvoll. Wie der Name sagt, ging es bei den Strafen um Kopf und Kragen bzw. um Hals und Haupt. Gleichgeschlechtliche Sexualität sollte der Scharfrichter der »gemeynen gewohnheyt nach mit dem fewer vom leben zum todt richten«.8 Der Historiker Alan Bray hat die soziokulturelle Struktur im England des 16. und 17. Jahrhunderts gut charakterisiert. Wir haben es in dieser Zeit mit einer überwiegend agrarisch geprägten Gesellschaft zu tun. Noch 1688 lebten 74 Prozent der englischen Bevölkerung in Dörfern oder Weilern. Die große Mehrheit der Bevölkerung wurde auf dem Lande geboren und verbrachte das gesamte Leben in den Grenzen dieser Dorfgemeinschaften.9 Diese Sozialstruktur erklärt zum einen, warum es überhaupt nur einer kleinen Gruppe von Menschen möglich war, gleichgeschlechtliche Erfahrungen zu sammeln. Die Überschaubarkeit der Lebenszusammenhänge ging zwangsläufig mit einer erhöhten sozialen Kontrolle einher. Deshalb ist es leicht verständlich, dass die meisten durch Gerichtsverfahren dokumentierten gleichgeschlechtlichen Kontakte und Beziehungen nicht unter Fremden oder flüchtigen Bekannten stattfanden, sondern unter Nachbarn und Freunden. Bray verweist auch auf die Struktur der damaligen Haushalte. Zwar fanden sich damals, vergleichbar zum 20. Jahrhundert, nur zwei Generationen unter einem Dach - das Bild von der Großfamilie hingegen sei ein Mythos -, doch handelte es sich dabei um eine durch und durch patriarchale Institution. Dem Hausherrn hatten sich Frauen und das Dienstpersonal unterzuordnen. Etliche Quellen geben davon Zeugnis, dass Knechte wie Mägde oft brutal und über lange Perioden hinweg misshandelt worden sind. Diese Gruppe stellte mit 13,4 % einen nicht unerheblichen Bevölkerungsanteil. Dienstpersonal war in fast 30 % der Haushalte anzutreffen.10 Eine Institution dieser Art nimmt natürlich starken Einfluss auf das Sexualleben der zahlreichen unverheirateten Männer und Frauen, die in einer Umgebung lebten, das Zuhause und Arbeitsplatz zugleich darstellte. Heute steht zweifelsfrei fest, dass homo- wie heterosexuelle Beziehungen zwischen dem Hausherrn und dem Dienstpersonal als durchaus üblich galten.11 Gleichgeschlechtliche Sexualität manifestierte sich in jener Zeit vorrangig in Herr-Knecht-Beziehungen unter Zwang oder durch Gewähren von Vergünstigungen. Die sexuell miteinander verkehrenden Männer waren selten sozial gleichgestellt. Meist initiierte der ältere, sozial höher gestellte Mann den sexuellen Kontakt zu dem deutlich jüngeren, sozial niedriger stehenden. Wenn die sexuellen Dienstleistungen der Untergebenen materiell entgolten wurden, hatte dies mit Prostitution wenig gemein; es handelte sich bei den sexuellen Handlungen für den Bediensteten vielmehr um einen Bestandteil des gewissermaßen geheimen, häufig aufgezwungenen Dienstverhältnisses. Die hierarchische Struktur der sexuellen Begegnungen spiegelt sich nicht nur im großen Altersunterschied der Partner wider, sondern auch in der starren Verteilung aktiver und passiver Rollen beim Geschlechtsakt. Der Ältere penetrierte in der Regel den jüngeren Partner. Die Sexualkontakte waren zudem nur isoliert an den jeweiligen Lebensorten der betroffenen Männer möglich. Auffällig ist, dass sich beide Sexualpartner - der jüngere wie der ältere - voll und ganz mit der männlichen Geschlechtsrolle identifizierten. Nach Thomas Laqueur soll bis weit in das 18. Jahrhundert ohnehin nur ein Geschlecht existiert haben: das männliche.12 Frauen besaßen die gleichen Genitalien wie Männer, nur in ‘minderwertiger’ Ausführung. Doch unabhängig von der Frage, ob in der damaligen Vorstellungswelt nur ein oder zwei Geschlechter existierten, verstanden sich die sexuell miteinander verkehrenden Männer als Männer und nicht als Frauen. Als effeminiert galten nach Recherchen des Historikers Randolph Trumbach hingegen Männer, die gerne Frauen verführten.13 Der ‘Sodomit’, der den Jugendlichen penetrierte, zeigte gleichermaßen sexuelles Interesse an Jungen wie an Frauen. Meist waren die älteren Männer sogar verheiratet und hatten Kinder. Trotz ihrer gleichgeschlechtlichen Sexualpraktiken galten sie auch in den Augen ihrer Zeitgenossen als ganz ‘normale’ (Ehe-) Männer. Wo sich gleichgeschlechtliche Sexualkontakte nur in individuellen, gleichsam abgeschotteten Lebensräumen realisieren lassen, kann sich weder eine Gruppe Gleichgesinnter herauskristallisieren, noch lässt sich ein aus gemeinsamer Lebenserfahrung abgeleitetes politisches Handlungsziel formulieren. Selbstzeugnisse aus jener Zeit existieren so gut wie nicht; die Informationen stammen in der Regel aus Kriminalakten und dokumentieren, dass die Männer, die ins Visier der Verfolgungsbehörden gerieten, die Sanktionen in der Regel nur noch hilflos über sich ergehen lassen konnten. Das geschlechtsrollenstrukturierte HomosexualitätsmodellZu Beginn des 18. Jahrhunderts kommt es in London und in einigen niederländischen Großstädten zu Razzien in Gaststätten und an anderen öffentlichen Plätzen. Wohl auf Grund der Anzahl der dort versammelten Männer und ihres auffälligen Sozialverhaltens geraten diese ‘verborgenen Gesellschaften’ nunmehr in den Blick der Verfolgungsbehörden. Im Februar 1726 werden in London in nur einer Nacht vierzig Personen wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht in einem Lokal verhaftet. Internierungen in dieser Größenordnung waren bis dahin unbekannt.14 In den Niederlanden findet 1730 die erste großen Verhaftungswelle mit anschließenden Massenprozessen statt. Der Historiker Theo van der Meer zählt an die 350 Sodomieprozesse, die in 85 Todesurteilen mündeten.15 Randolph Trumbach resümiert, dass in England und Holland zwischen 1700 und 1850 mehr Menschen wegen Sodomie hingerichtet wurden als in den 600 Jahren zuvor.16 Nicht weniger brutal ging eine eigens eingerichtete Spezialeinheit der Polizei ab 1723 in Paris an einschlägigen Plätzen gegen Personen vor, die der Sodomie bzw. Päderastie verdächtigt wurden.17 Offensichtlich waren in den Jahrzehnten zuvor in einigen europäischen Metropolen Subkulturen entstanden. Teilweise trafen die Verfolgungsbehörden in den Niederlanden auf ganze Netzwerke von Kneipen und Bordellen. In London waren die Etablissements als ‘molly houses’ (molly = ‘verweichlicht’, ‘verzärtelt’, ‘verwöhnt’) bekannt. Ein Spitzel berichtete dem Gericht über seine Beobachtungen: »Als ich ... das Haus in Beech Lane betrat, traf ich auf eine Anzahl von Männern, die musizierten, tanzten und unzüchtige Lieder sangen, die sich untereinander küssten und ihre Hände recht ungewöhnlich bewegten.... Dann saßen sie sich wechselseitig im Schoss, redeten unzüchtig und gingen recht unanständig miteinander um. Es existierte dann noch ein Tür, die den Zugang zu einem kleineren Raum bildete. Dort stand ein Bett, und in diesen kleinen Raum verschwanden etliche in Begleitung.«18 Die Umgangsformen in diesen ‘molly houses’ des frühen 18. Jahrhunderts unterschieden sich deutlich von den eher amorphen Formen homosexueller Begegnungen in den früheren Jahrhunderten: Hier war eine soziale Institution mit eigenen sozialen Normen entstanden. Diese Entwicklung war verwoben mit einem völlig neuen ‘homosexuellen’ Selbstverständnis. Den Spitzeln stach insbesondere das offen zur Schau getragene effeminierte Verhalten ins Auge: »Die Männer redeten sich gegenseitig mit ‘meine Liebe’ an, umarmten, küssten und flirteten miteinander, als ob es sich um eine wollüstige Mischung aus Männern und Frauen handelt. Sie sprachen und gebärdeten sich effeminiert ... Einige liefen in Frauenkleidern herum, andere trugen Frauenunterröcke, wieder andere Perücken und fein gelackte Schuhe oder mit Falbeln versehene Halstücher.«19 Weibliche Gesten und Ausdrucksweisen wurden zum entscheidenden identitätsstiftenden Merkmal eines über die Geschlechterpolarität entwickelten ‘Homosexualitätsmodells’. Um 1800, so resümiert Trumbach, existierten in der Vorstellungswelt der Zeit drei Typen von Männern: der ‘Sodomit’, der Heranwachsende und der erwachsene Mann. Wie in früheren Zeiten versuchte der ‘Sodomit’ weiterhin, Jugendliche zu verführen. Der effeminierte ‘Sodomit’ des 18. Jahrhunderts zeigte aber auch sexuelles Interesse an erwachsenen Männern. Die feste Rollenaufteilung beim Geschlechtsakt ließ sich teilweise auf die unterschiedlichen Geschlechtsrollen übertragen. Beim Geschlechtsverkehr unter erwachsenen Männern penetrierte der eher maskuline Partner den effeminierten. Beide Rollen waren aber auch austauschbar.20 Erklärt werden kann dieser soziale Wandel durch die kulturelle und wirtschaftliche Gesamtentwicklung der holländischen wie englischen Gesellschaft. In beiden Ländern war der Feudalismus schon im 17. Jahrhundert überwunden. Auf dem Weg in eine frühkapitalistische Sozialordnung gelten Holland und England als die europäischen Vorreiter.21 In den Niederlanden existierte traditionell eine ‘freie Struktur’ der Landwirtschaft.22 In England führten bereits die Bauernaufstände des 15. Jahrhunderts zur Beseitigung der bäuerlichen Erbuntertänigkeit. Deshalb war die Landwirtschaft in beiden Ländern in der Lage, das Wachstum im Handel und Gewerbe und den damit verbundenen Bevölkerungsanstieg durch Umstellung von der Subsistenzwirtschaft hin zur kommerziellen, arbeitsteiligen Produktion von Nahrungsmitteln aufzufangen. Im Mittelalter hingegen hatten Hungersnöte und Epidemien gesellschaftlichen Prosperitätsprozessen stets ein jähes Ende bereitet. Das Bevölkerungswachstum im 17. Jahrhundert führte demgegenüber zu einer bis dato beispiellosen Urbanisierung. In den Provinzen Holland und Utrecht zählte bereits über die Hälfte der Bevölkerung zu Stadtbewohnern23, in England verdoppelte sich der Anteil der Städter an der Bevölkerung in nur einem Jahrhundert von 8 auf 16,5 Prozent.24 Die Ausformung einer städtischen Kultur ist wohl eine wesentliche Voraussetzung für die Ausformung einer ‘homosexuellen’ Subkultur. In dieser Beziehung gilt das Deutsche Reich als europäischer Nachzügler. Da hier die Feudalordnung erst Mitte des 19. Jahrhunderts überwunden werden konnte, haben wir es bis zu diesem Zeitpunkt mit einem ausgeprägten Agrarstaat zu tun. Die gleichheitliche Moral der Französischen Revolution fand auf das Geschlechterverhältnis keine Anwendung. Nach Trumbach demonstriert die weibische Rolle der ‘Sodomiter’ bzw. der ‘mollies’, dass die Mehrheit der Männer keine Männer begehrt und in einer von Frauen getrennten, völlig eigenständigen Welt existiert. Während die transgenerationale Organisation gleichgeschlechtlicher Sexualkontakte die Ungleichheit der Geschlechter stabilisierte, verstärkte die geschlechtsrollenspezifische Struktur dieser ‘homosexuellen’ Kontakte die Trennung des männlichen vom weiblichen Geschlecht.25 Letztlich transformierte die damalige Gesellschaft das binäre Ordnungssystem der Geschlechter (Mann und Frau) in ein dreigeschlechtliches, bestehend aus Mann, Frau und weibischem ‘Sodomit’.26 Dieses im 18. Jahrhundert entstandene soziale Organisationsprinzip von Geschlecht und Sexualität sollte dann in der Mitte des 19. Jahrhunderts den ‘Baukasten’ darstellen, aus dem Gerichtsmedizin und Psychiatrie, aber auch der Jurist Karl Heinrich Ulrichs sowie der Arzt Magnus Hirschfeld ihre ‘Homosexualitätstheorien’ zusammensetzten. Die Verfolgungswellen im 18. Jahrhundert haben die subkulturellen Strukturen der ‘Sodomiter’ fast vollständig zerstört. An der Schwelle zum 19. Jahrhunderts zählte das gleichgeschlechtliche Sexualverhalten unter Männern zu den besonders stark kontrollierten sozialen Abweichungen, über die öffentlich zu sprechen ein Tabu darstellte.27 Der Gerichtsmediziner Johann Ludwig Casper musste 1852 erst seinen »psychischen und moralischen Ekel« überwinden, bevor er über die »s e h r zahlreichen Fälle« von »Fleischesverbrechen« reden konnte.28 Mittlerweile hatte sich auch in Deutschland - wenn wir den Beobachtungen Caspers Glauben schenken wollen - das geschlechtsrollenspezifische ‘Homosexualitätsmodell’ etabliert: »Die geschlechtliche Hinneigung von Mann zu Mann ist bei vielen Unglücklichen - ich vermuthe aber bei der Minderzahl - angeboren, während sie bei vielen anderen Männern erst im späteren Leben, als Folge einer Übersättigung im gewöhnlichen Dienste der Venus, auftaucht. Nicht wenige dieser Männer pflegen ein mehr weibisches Äussere zu haben. Sie sind weibisch eitel in ihrem Anzuge, die Haare in Locken gekräuselt, Ringe bedecken die Finger und Riechwässer werden reichlich verbraucht.«29 Abbildung
1: Der erste Jahrgang der Vierteljahrsschrift
Das veränderte ‘homosexuelle’ Selbstverständnis korrespondierte mit einem bis dahin unbekannten Politikstil der Betroffenen. Erstmals in der Geschichte traten sie nicht nur als Opfer von Strafverfolgung und entwürdigenden gerichtsärztlichen Expertisen30 auf. Als geradezu revolutionär müssen die ersten Eingaben an die Strafrechtskommissionen des Norddeutschen Bundes gelten, in denen ‘Homosexuelle’ offen und mutig Lebensrecht und Entkriminalisierung einforderten. Unter den Petenten ist das Engagement des Juristen Karl Heinrich Ulrichs besonders hervorzuheben, da dieser als offensichtlich Betroffener und damit ohne Rücksicht auf seine soziale Stellung Straffreiheit für die, wie er sie nannte, »urnische Geschlechtsliebe« einforderte.31 Seine Eingaben zeichnen sich zudem durch eine gewisse Professionalität aus, da sie den gesamten Gesetzgebungsprozess begleiten und mit einer explizit geschlechtsrollenspezifischen ‘Homosexualitätstheorie’ begründet werden. Aus diesem Grund zeichne ich den Gang der Auseinandersetzung hier kurz nach. Nach Gründung des Norddeutschen Bundes beauftragte im März 1868 Bismarck den Preußischen Justizminister Adolf G. W. Leonhardt mit der Ausarbeitung eines Entwurfs für ein einheitliches Strafrecht. Ab Sommer 1868 war eine Kommission von drei Juristen damit beschäftigt, die Strafgesetzbücher der einzelnen Länder des Norddeutschen Bundes zu sichten und zu vergleichen. Dabei sollten »die vielangefochtenen Bestimmungen über die ‘Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit’ einer Läuterung unterworfen werden«.32 Die erste Eingabe von Karl Heinrich Ulrichs datiert vom 30. September 1868. Separat hatte Ulrichs »ehrfurchtsvoll« auch seine Schrift »Gladius furens«, seine »Provocation an den deutschen Juristentag« (1868), übersandt, in der er sich auch mit den »zur Rechtfertigung der Bestrafung geltend gemachten Gründen« auseinander gesetzt hatte (Anhang II, S. 19-26). Unter Berufung auf die Mediziner Ludwig Casper und Rudolf Virchow entwickelte er seine »legislative Theorie« in seiner Eingabe wie folgt: »Rücksichtlich einer besonderen Classe der bisher als delicta carnis [‘Fleischesvergehen’] betrachteten Geschlechtsacte dagegen, nämlich rücksichtlich der verschieden gearteten Äußerungen jener Geschlechtsliebe, welche von mir die urnische genannt wird, gründet sich diese Theorie außerdem noch auf jene gleichsam angeborenen natürlichen Berechtigungen und auch den gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaft, welcher nämlich in nächster Consequenz die Anerkennung einer solchen natürlichen Berechtigung fordert. Von der Naturwissenschaft wird nämlich anerkannt, daß die urnische Geschlechtsliebe durchaus nicht widernatürliche Neigung sei, als welche man bisher sie zu betrachten gewohnt war, daß sie vielmehr beruhe auf einem körperlich-geistigen Hermaphroditismus, ausgedrückt durch die Formel ‘Anima muliebris virili corpore inclusa’ [weibliche Seele, eingeschlossen in einem männlichen Körper]. Von einer weiblichen Seele aber (d. i. von einer Seele, welche begabt ist mit weiblich gearteter Geschlechtsliebe,) kann und darf unmöglich gefordert werden, sie solle sich geschlechtlich hingezogen fühlen zu Weibern (d. i. zu gleichen Polen), dem ihr allein natürlichen geschlechtlichen Zuge dagegen, d. i. zu Männern (weil zu ungleichen Polen), solle sie nicht folgen.«33 Diese Textpassage markiert in prägnanter Form den Kern seiner geschlechtsrollenstrukturierten Homosexualitätstheorie, mit der er seine Forderung nach Straffreiheit untermauerte. Die Idee von der geistigen Zwitterbildung findet sich tatsächlich schon bei Casper 185834; sie überzeugte die vom Preußischen Justizministerium beauftragte »Deputation für das Medicinal-Wesen« allerdings nicht. Das auch von dem renommierten Pathologen Rudolf Virchow unterzeichnete Gutachten datiert vom 24. März 1869 und weist in der handschriftlichen Urschrift eine kurze Passage auf, die in der späteren Druckfassung fehlt. Die Ärzte fühlen sich »nicht veranlaßt«, auf die »zur Kenntnisnahme mitgeteilten Schriften des Herrn Ulrichs näher einzugehen,« ... »da seine Deduktionen einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren«.35 Ulrichs' Eingaben konnten trotz ihrer professionellen Fertigung und der mit leidenschaftlichem Engagement vorgetragenen Forderung nach Straffreiheit das Gesetzgebungsverfahren nicht beeinflussen. Die ‘Urninge’ blieben mit Ulrichs eine gesellschaftliche Randgruppe, die zwar erstmalig gegenüber der Politik das Ende der gesellschaftlichen Ächtung einforderte, letztlich aber ihr Schicksal nur beklagen konnte. So forderte Ulrichs 1869 wiederholt und vergeblich die Begnadigung der ihm bekannten inhaftierten Urninge, da er auf Grund von Zeitungsberichten davon ausgehen konnte, die mit dem Entwurf des Justizministers befasste Bundeskommission habe die Strafdrohung gegen »Handlungen nur männlicher Geschlechtsliebe«36 fallen gelassen. Als die Kommission jedoch am 7. November 1869 den entsprechenden Abschnitt beriet, konnte das Bremer Kommissionsmitglied Dr. Ferdinand Donandt sogar eine Strafverschärfung durchsetzen.37 Entsprechend verzweifelt klingt Ulrichs' Eingabe vom 28. November 1869: durch die »wieder aufgenommene Bestrafung der so genannten ‘naturwidrigen Unzucht’« seien »etwa 15.000 Angehörige des Norddeutschen Bundes mit einem Federstrich zu geborenen Verbrechern gestempelt« worden.38 Vor den abschließenden Beratungen im Reichstag unternahm Ulrichs am 4. Mai 1870 einen letzten Versuch mit einer erneuten Petition an den Preußischen Justizminister: »Ich bitte, falls § 173 nicht einfach gestrichen werden soll, wenigstens nur den Zusatz: ‘Unter vorstehenden fällt nicht, wer geschlechtliche Handlungen begeht, welche der Richtung des ihm geborenen Geschlechtstriebes gemäß sind.’ ... Betrachten Er. Exzellenz mich als einen Wortführer der Tausende Ihrer Mitmenschen, die auf's neue ohne genügenden Rechtsgrund zu Verbrechern gestempelt und gemartert werden sollen. Im Namen der Gerechtigkeit und im Namen der Menschlichkeit bitte ich um Gehör!«39 Die erste psychiatrische Publikation zum Thema folgte der gutachterlichen Stellungnahme der Deputation für das Medicinal-Wesen auf dem Fuße. Obwohl der Psychiater Carl Westphal mit seiner neuen Bezeichnung »conträre Sexualempfindung« Ulrichs' Idee von der geistigen Zwitterbildung der ‘Homosexuellen’ übernahm, diskreditierte er diese zugleich als pathologisch, als »Symptom eines neuropathischen (psychopathischen) Zustandes«.40 Die geschlechtsrollenstrukturierte ‘Homosexualitätstheorie’, die Westphal damit in der Medizin etablierte, war nur um den Preis ihrer Krankhaftigkeit gesellschaftlich durchzusetzen. Ulrichs selbst hatte in dem körperlich-geistigen Hermaphroditismus dagegen stets eine naturgegebene physiologische Komponente gesehen. Wie Westphal kopierte der Psychiater Richard von Krafft-Ebing Ulrichs' Klassifikationschema,41 welches die verschiedenen Formen gleichgeschlechtlicher Sexualität zwischen den Polen männlich und weiblich einordnete. Auch Krafft-Ebing wertete die verschiedenen Äußerungen des Geschlechtstriebs als Degenerationszeichen und diskreditierte Ulrichs zugleich als einen »gewissen Assessor«, der »selbst mit diesem perversen Trieb behaftet« sei.42 Eindeutiger ließ sich die Außenseiterrolle Ulrichs' nicht zementieren. Die Definitionsmacht über die Formen gleichgeschlechtlicher Sexualität verblieb bei den durch und durch homophoben staatlichen Institutionen: Justiz und Medizin. Dem Arzt Magnus Hirschfeld erging es 40 Jahre später kaum besser, obwohl er selbst nicht offen als Homosexueller auftrat. Auch seine Theorie der sexuellen Zwischenstufen bzw. des Dritten Geschlechts ist der geschlechtsrollenstrukturierten ‘Homosexualitätskonstruktion’ zuzuordnen. Nach Hirschfeld beweise bereits die Doppelgeschlechtlichkeit des Embryos den hermaphroditischen Charakter der Homosexualität.43 Auf Grund der menschlichen Bisexualität könnten sich Männer mit weiblichen Einschlägen und Frauen mit männlichen Einschlägen herausbilden. Im Unterschied zu Ulrichs agierte Hirschfeld als Vorsitzender des am 15. Mai 1897 gegründeten »Wissenschaftlich-humantären Komitees« (WhK). Diese Organisation gilt als erste homosexuelle Interessenvertretung und belegt den wachsenden Organisationsgrad homosexueller Vergesellschaftung. Eine weit entwickelte Subkultur gehört zu diesem Zeitpunkt bereits fest zur Berliner Kultur, wie die empirische Bestandsaufnahme von Hirschfeld selbst oder die des Psychiaters Paul Näcke belegen.44 Von Oktober 1897 bis Ende 1907 unternahm das WhK insgesamt fünf Anläufe, um mit Hilfe einer Petition an die gesetzgebenden Körperschaften des Deutschen Reiches den Gesetzgeber zur Entkriminalisierung einvernehmlicher sexueller Handlungen unter männlichen Erwachsenen zu bewegen. Dem Anliegen wurde durch eine beachtliche Anzahl bekannter Persönlichkeiten, die die Petition unterzeichneten45, besonders Gewicht verliehen. Begründet wurde das Ansinnen erneut mit der geschlechtsrollenstrukturierten Homosexualitätstheorie. Im Petitionstext heißt es: »Unter Betonung, daß es gegenwärtig als nahezu erwiesen anzusehen ist, daß die Ursachen dieser auf den ersten Blick so rätselhaften Erscheinung in Entwicklungsverhältnissen gelegen sind, welche mit der bisexuellen (zwittrigen) Uranlage des Menschen zusammenhängen, woraus folgt, daß Niemandem eine sittliche Schuld an einer solchen Gefühlsanlage beizumessen ist.«46 Die Eingaben blieben allesamt erfolglos. Unter dem Eindruck der Eulenburg-Affäre und des Moltke-Harden-Prozesses47 beschloss die Kommission für Petitionen des Reichstages, den Eingaben ein »‘stilles Begräbnis’ zu bereiten«, indem man sie »als ungeeignet zur Erörterung im Plenum« erklärte.48 Im Vergleich zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die soziale Lage für die Homosexuellen nicht grundlegend verbessert. Sie standen nach wie vor am Rand der Gesellschaft und hatten selbst über das mit wissenschaftlichen Weihen versehene Wissenschaftlich-humanitäre Komitee keine Chance, direkten Einfluss auf die ab 1903 erneut beginnenden strafrechtlichen Revisionsarbeiten zu nehmen.49 Deutlicher Beleg hierfür ist zum einen die Bitte Hirschfelds an den Staatssekretär im Reichsjustizamt, »gütigst veranlassen zu wollen, daß uns der genaue Wortlaut des § 250, wie die Strafrechtskommission ihn jetzt gefasst hat, mitgeteilt wird.«50 Zum anderen wird das in devotem Ton vorgetragene Angebot von Magnus Hirschfeld und Ferdinand Karsch an die Regierung, ihr Angehörige des Dritten Geschlechts (Homosexuelle) persönlich vorzustellen, mit der schroffen Randnotiz »Na ich danke!« zurückgewiesen.51
Das homosexuelle EinheitsmodellAn dieser Stelle springe ich gleich in die 1970er Jahre. Martin Dannecker und Reimut Reiche haben mit ihrer Anfang der 1970er Jahre durchgeführten Befragung homosexueller Männer ein ganz neues homosexuelles Selbstbild zu Tage gefördert, das sich deutlich von dem geschlechtsrollenspezifischen Homosexualitätsmodell des 19. Jahrhunderts unterscheidet. Unter dem Titel »Der gewöhnliche Homosexuelle« veröffentlichten die Autoren die Auswertung einer in dieser Form erstmals vorgenommenen empirischen Erhebung über homosexuelle Lebensformen in Westdeutschland. Basis ihrer Untersuchung waren 789 ausgefüllte Fragebögen, die zuvor über 139 Kontaktpersonen überwiegend in westdeutschen Städten verteilt worden waren.52 Abbildung
3: Die Monografie von Dannecker und Reiche
Der Leser wundert sich bei diesem umfangreichen Werk spätestens in dem Kapitel »Die kollektive Neurose der Homosexuellen« über die stark pathologisierenden Wertungen, z. B. im Zusammenhang mit dem sog. »Tunten-Haß«, in dem sie in Anlehnung an einen von Anna Freud geprägten Terminus die »Identifizierung mit dem heterosexuellen Angreifer« zu erkennen glaubten: »Der Terminus soll zum Ausdruck bringen, daß das gesellschaftlich vorgeprägte und im Über-Ich verankerte Schuldgefühl, homosexuell zu sein, auf dem Wege der projektiven Identifizierung an einen schuldigen Dritten weitergegeben wird. Indem die Homosexuellen ihre ‘Schuld’ auf die Tunten projizieren, werden sie so normal, wie die gesellschaftliche Norm ... es von ihnen verlangt.«53 Trennt man jedoch die empirischen Daten von den Kommentierungen, ergibt sich folgendes Bild: »Insgesamt äußerten drei Viertel (76 %) aller Befragten ausschließlich negative Gefühle und/oder Einstellungen gegenüber ‘Tunten’.« Bei der Frage nach dem Ideal-Typ von Mann nannte die größte Gruppe (182) »männlich«, eine nicht ganz so große Gruppe (113) »keine Tunte« oder »nicht feminin«. Zu der Fraktion der Tunten-Ablehner addieren sich noch 7 %, die sich Tunten gegenüber indifferent äußerten (»sind mir gleichgültig«) sowie 5 %, die angaben, zwar persönlich nichts gegen Tunten zu haben, sie aber sexuell nicht attraktiv zu finden. Nur 5 % der Befragten gaben an, Tunten zu mögen, etwa weil sie »im Bett die Besten« seien. Insgesamt gaben überhaupt nur zehn Befragte an, selber eine »Tunte« oder »weibisch« zu sein.54 Offensichtlich werden wir hier mit einem Selbstverständnis konfrontiert, das sich deutlich von der effeminierten Identität des vormaligen geschlechtsrollenstrukturierten Homosexualitätsmodells unterscheidet. Die Befragten sehen sich als Mann und wünschen sich einen solchen auch als Sexualpartner. Sie identifizieren Homosexualität nicht mit Weiblichkeit, sondern mit einem ausgesprochen männlichen Charakter. Es handelt sich um eine maskuline schwule Identität. Diese neue homosexuelle Identität wird in der gängigen Literatur mit dem westlich-egalitären Homosexualitätskonzept in Verbindung gebracht.55 Dieses basiert nicht mehr auf der Annahme von drei Geschlechtern; Ausgangspunkt sind wieder die beiden Geschlechtskategorien ‘Mann’ und ‘Frau’, allerdings vor dem Hintergrund ihrer sozialen Gleichheit. Dieses Merkmal unterscheidet sie deutlich von der frühneuzeitlichen Konstruktion, die beide Geschlechter in ein asymmetrisches Verhältnis setzte. Erneut lässt sich die Veränderung ohne Blick auf den gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess nicht verstehen. Die Dynamik des sozialen Wandels in der modernen Sozialordnung westlicher Prägung, die sich in Abgrenzung zur Industriegesellschaft mit dem Begriff der Dienstleistungsgesellschaft umschreiben lässt, ist im Wesentlichen auf soziale Bewegungen zurückzuführen, die ihre Interessen und Bedürfnisse auf Grund eines hohen Grades an Konflikt- und Organisationsfähigkeit erfolgreich in die dominante Kultur einbringen konnten. Neben der Umweltbewegung zählt wohl die Frauenbewegung mit ihrem Kampf um Gleichberechtigung zu den erfolgreichsten Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre. Die soziale Angleichung der beiden Geschlechter, die sich u. a. in der Mode, im Freizeitverhalten oder in gemeinsamen Berufskarrieren manifestiert, verdeutlicht, dass die beiden Geschlechter in einer gemeinsamen Erfahrungswelt aufwachsen. Vor dem Hintergrund dieses gesellschaftlichen Wandels musste die ‘Tunte’ mit ihrem effeminierten Verhalten als ein anachronistisches Relikt vergangener Zeiten erscheinen. Die von Dannecker und Reiche ermittelten Veränderungen sind jedoch nicht in allen westlichen Ländern gleichermaßen anzutreffen In ländlich strukturierten Gegenden lebt das geschlechtsrollenstrukturierte Homosexualitätskonzept weiter. Nach einer ethnologisch vergleichende Feldstudie war es im ländlichen Raum Süditaliens noch in den 1990er Jahre fest etabliert. Dort wirkt das öffentliche Tabu so übermächtig, dass homosexuelle Männer ihre Homosexualität nur leben können, wenn sie ihre Geschlechtsidentität nach dem Bild der effeminierten ‘Tunte’ performieren. Dagegen können etwa die schwulen Männer in Neapel auf Medien und schwule Institutionen zurückgreifen, die alternative Lebensformen anbieten und fördern. Dort hat die urbane Emanzipationsbewegung den sozialen Raum geschaffen, in dem maskuline Schwule und egalitär gestaltete Partnerschaften ihren Platz haben können.56 Typisch für das egalitäre Homosexualitätsmodell ist nicht nur die männliche Geschlechtsidentität. Die Partnerschaften werden mit gleichberechtigten und in etwa auch gleichaltrigen Partnern gelebt; die Rollen beim Geschlechtsakt sind austauschbar.57 Zudem sind die Lebensstile eingebettet in eine Subkultur, die Möglichkeiten bietet, sich zur eigenen schwulen Identität offen zu bekennen. Auffallend ist die globale Ausrichtung des westlichen Konzepts von Homosexualität. Während sich die Subkultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert noch im Rahmen der jeweiligen Nationalstaaten herausbildete, dient nun als Identitätsaufhänger für den Befreiungskampf weltweit ein Ereignis aus den USA. Gemeint sind die Krawalle um das Lokal »Stonewall Inn« in der New Yorker »Christopher Street« von 1969, die seitdem als Symbol eines selbstbewussten Widerstands gegen Diskriminierung gelten und den jährlichen Demonstrationen in den USA, Europa und Australien ihren Namen gegeben haben. In der Globalisierung der ‘egalitären’ Homosexualität steckt jedoch ein Risiko: je einheitlicher sich das Modell präsentiert, desto stärker wirkt es homogenisierend auf andere, alternative schwule Lebensentwürfe. Die Typisierung zum ‘gewöhnlichen Homosexuellen’, wie sie Dannecker und Reiche vorgenommen haben, birgt in sich ein ausgrenzendes Potenzial. Obwohl die Autoren betonen, dass es so gut wie unmöglich sei, eine repräsentative Stichprobe aus einer Grundgesamtheit von unbekannter Größe und Zusammensetzung zu bilden58, deuten sie die jeweiligen quantitativen Mehrheiten bestimmter Verhaltensweisen doch als die für d i e Homosexuellen wesentlichen. So heißt es etwa über sexuelle Treue: »Sexuelle Treue ist in homosexuellen Beziehungen die Ausnahme und nicht die Regel. Schon nahezu vom Beginn einer festen Freundschaft an gehört sexuelle Untreue zum Erscheinungsbild. ... Wenden wir uns vorerst noch einmal der kleinen Gruppe von Befragten zu, die sich in bezug auf sexuelle Treue untypisch verhält. Von allen über ein Jahr befreundeten Befragten gaben noch 15 Prozent (N = 44) an, ihrem Freund nie untreu geworden zu sein ... Sie verhalten sich so, wie das allgemeingültige Liebesideal es will. Sie sind sexuell treu, auch nach mehrjährigen Freundschaften, verurteilen sexuelle Untreue, wobei sie der Übereinstimmung mit der Einstellung des Freundes sicher sein können, und sind überdies kaum promisk. Nur sie sind ... jene guten Homosexuellen, die der Öffentlichkeit nicht mehr zur Last fallen. ... Vorbilder aber für die Homosexuellen sind auch sie nicht, weil es so etwas gar nicht gibt.«59 Die ausgrenzende Wirkung derart wertender Interpretation ist offensichtlich. Die Botschaft lautet: Nur die promisken und untreuen schwulen Männer leben richtig, weil sie in der Öffentlichkeit Anstoß erregen. Auf die Idee, dass Menschen vielleicht auf Grund ihrer Bedürfnisse und Wünsche treu bleiben, kommen die Autoren nicht. Trotz der Relativierung, dass es Vorbilder gar nicht geben könne, gerinnt der Typus des ‘gewöhnlichen Homosexuellen’ zu einer normativen Einheitsgestalt, neben der andere Lebensentwürfe keinen ebenbürtigen Platz einnehmen können. Die doch teilweise recht rigiden Vorstellungen über das ‘richtige’ schwule Leben spiegeln sich auch in den politischen Aktionsformen der 1970er und 1980er Jahren wider. Die Beteiligten führten den Kampf um die ‘richtigen’ politischen Ziele untereinander teilweise so leidenschaftlich, dass sie dabei den eigentlichen politischen Gegner aus dem Blick verloren. Als Beispiel für diese Zerstrittenheit sei die 1980 in Tumulten untergegangene Diskussionsveranstaltung »Parteien auf dem Prüfstand« in der Bonner Beethoven-Halle genannt. In der »Frankfurter Rundschau« hieß es dazu: »In der Beethoven-Halle, wo Schwule und Lesben Vertreter politischer Parteien ... befragen wollten, kam es dann nach kurzer Zeit zu Tumulten. Eine Mädchengruppe aus Berlin und die sogenannte ‘Kinderkommune’ aus Nürnberg, die bereits den Parteitag der Grünen in Dortmund an den Rand des Scheiterns gebracht hatte, versuchten lautstark auf ihre Forderungen, etwa die Legalisierung sexueller Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen, aufmerksam zu machen. Die Politiker und Moderator Reinhard Münchenhagen räumten darauf hin das Podium.«60 Neben dieser Zerstrittenheit war die schwule Politik getragen von der Idee des ‘Coming-out’ und ‘Going-public’. Drei Aspekte sind mit dieser Idee verknüpft: Zum einen werden die eigenen abweichenden sexuellen Bedürfnisse akzeptiert, zum anderen wird dieses Begehren in der schwulen Gemeinschaft selbstverständlich ausgedrückt und letztlich auch gegenüber Außenstehenden offenbart. Das politische Ziel lautete dementsprechend »Coming-out-all-over«:61 so vehement aus der Außenseiterecke herauskommen, dass die gesellschaftliche Randsituation überwunden wird. Durch offensive Kritik an den herrschenden Verhältnissen sollte negative Identität in eine positive transformiert werden. Hierin unterscheidet sich das Vorgehen der 1970er und 1980er Jahre deutlich von den eher devoten und zurückhaltenden Bittschriften eines Dr. Hirschfeld und Prof. Karsch. Queer-IdentitätenIn den 1990er Jahren ist das universalistische Modell der schwulen Identität zunehmend in die Kritik geraten. Die monolithische Struktur einer einheitlichen Identität sowie einer gleichförmigen Partnerschaftsform kollidierte mit den unterschiedlichen Lebenserfahrungen von Menschen verschiedenartiger Herkunft, unterschiedlichen Alters, differenter Wohnsitzverhältnisse und unterschiedlicher Ausbildung. Die ‘Queer Theory’ stellt die Brüchigkeit und Vielgestaltigkeit sexueller und geschlechtlicher Identitäten in den Mittelpunkt ihres Denkens. Ähnlich der deutschen Schwulenbewegung, die durch Übernahme des Feindbegriffes ‘schwul’ ihre homophoben Gegner entwaffnete, adoptierte die amerikanische Schwulen- und Lesbenbewegung den Begriff ‘queer’ (‘schräg’, ‘pervers’), der ursprünglich ein Schimpfwort für Homosexuelle war. Die akademische und politische Inbesitznahme des Begriffs ‘queer’ signalisiert einen Wandel im Verständnis von Sexualität und Geschlecht. Die starren Konzeptionen von ‘männlich’ und ‘schwul’ gelten in der Queer Theory als historisch gewachsene, normative Konstruktionen. Um den Blick wieder zu weiten, spricht man deshalb von verschiedenartigen schwulen Identitäten. Diese sind nur in ihrem Verhältnis zur Heterosexualität als einem Prinzip kultureller, sozialer und politischer Organisation adäquat zu verstehen.62 Eine von mir mit zwei Kollegen durchgeführte empirische Erhebung über schwule Lebenserfahrungen zu Beginn der 1990er Jahre verdeutlicht, dass die Art und Weise der Identifikation mit dem Anderssein immer auch eine Strategie der Informationskontrolle impliziert. Den spezifischen Umgang mit der Information über das eigene Anderssein haben wir »Stigma-Management« genannt. Die von uns entwickelte Typologie schwuler Identitäten steht durchaus in der Denktradition der Queer Theory, da sie die Pluralität schwuler Identitäten unterstreicht und auf ihre soziale Bedingtheit verweist.63 Der »Gliedschwule« zeichnet sich durch ein auf Sexualität reduziertes Selbstbild aus. Er verheimlicht auf Grund großer emotionaler Distanz zu seiner eigenen Homosexualität seine gleichgeschlechtlichen Sexualkontakte. Sein Stigma-Management zwingt ihn dazu, nur flüchtige und anonyme Sexualkontakte einzugehen. Dabei meidet er emotionale Nähe, partnerschaftliche Bindungen werden nur dann zugelassen, wenn sich ihre Funktion auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse beschränkt. Der »Kopfschwule« hat eine intellektuelle Haltung zum Schwulsein entwickelt. Er rechtfertigt seine homosexuellen Erfahrungen auf rein intellektueller Ebene, stilisiert die eigene Normüberschreitung zu etwas Besonderem. Die abstrakte Abwehr bürgerlicher Werte strukturiert auch sein Intimitäts- und Partnerschaftsideal, das er in Abgrenzung zu den bürgerlichen Normen entwickelt. Auf das romantische Liebesideal antwortet er mit dem Ideal der geschlossen-offenen Beziehung, in der sich die Partner sexuelle Außenkontakte grundsätzlich gestatten. Der »Zehenspitzenschwule« verdankt seinen Namen einem ausgeprägten Verheimlichungs- und Kontrollbedürfnis. Er akzeptiert gleichwohl seine Homosexualität ohne Wenn und Aber. Die starke Selbstkontrolle hindert ihn daran, personale Bindungen mit anderen Männern zu realisieren, obwohl er diese ausdrücklich anstrebt. Aus Angst vor Entdeckung meidet er die homosexuelle Subkultur genauso wie sexuelle Abenteuer. Sexualpartner lernt er meist über Kontaktanzeigen kennen. Der »Herzschwule« hat ein eher gefühlsbetontes Selbstbild entwickelt. Er hat sich entschieden, schwul zu leben und sich dazu zu bekennen. Seine Informationskontrolle ist ebenso flexibel wie seine intimen Handlungsorientierungen. Leitbilder und Ideale werden relativiert und auf die eigene Bedürfnislage zugeschnitten. Er akzeptiert Teile des romantischen Liebesideals, da er den Wunsch nach sexueller Befriedigung häufig an eine Liebeserwartung koppelt, doch geht er auch gerne flüchtige Sexualkontakte ein. Für den »Verletzten« ist auffallend, dass die homosexuellen Erfahrungen das Selbstbild nicht wesentlich mitprägen. Ausgrenzungserlebnisse anderer Art überlagern die Identitätsbildung (gewalttätiger Vater, Heimerfahrungen usw.), sodass sich diese Männer eher als Außenseiter denn als Homosexuelle begreifen. Obwohl der »Verletzte« personale Bindungen anstrebt, scheitert er bereits beim Kennenlernen seiner Partner, die er an allen Orten der homosexuellen Subkultur sucht. Realisieren kann er eher asymmetrische Beziehungen, in denen er sich in einer emotional geschlossenen Partnerschaft wähnt, sein Partner aber meist nur rein sexuelle Interessen verfolgt. Der (heterosexuelle) Stricher, der sich selbst nicht als schwul begreift, reduziert die intimen Begegnungen auf das finanzielle Geschäft. Wegen seiner emotionalen Distanz zur Homosexualität sucht der Stricher nur oberflächliche und flüchtige Sexualkontakte zu Männern; emotional tiefer gehende Bindungen möchte er nur mit seiner Freundin leben. Verstärkt wird die Tendenz zu einer immer weiteren Ausdifferenzierung der schwulen Welt durch die Möglichkeiten der modernen Telekommunikationsgesellschaft. In der Soziologie ist dieser Trend als Prozess zunehmender Individualisierung64 charakterisiert worden. Das Internet nimmt dabei mittlerweile eine Schlüsselstellung ein. Es verstärkt den Trend zu einer grenzenlosen virtuellen Moblilität, die es dem Einzelnen erlaubt, sich über ‘Mailing-lists’ oder in ‘Chat-rooms’ mit genau dem Personenkreis weltweit in Verbindung zu setzen, der die eigenen sexuellen Vorlieben, Freizeitaktivitäten oder andere Hobbys teilt. Diese neuen Kontaktmöglichkeiten ersetzen dabei nicht die traditionellen schwulen Subkulturen, sie ergänzen sie vielmehr. Die Pluralität des schwulen Lebens beeinflusst natürlich auch den heutigen Politikstil. Dieser unterscheidet sich deutlich von dem der 1970er und 1980er Jahre. Während dort die Rechte von Parteien und Regierung noch lautstark eingefordert werden mussten, gestalten heute offen schwule Abgeordnete in Landes- und Bundesregierungen Regierungspolitik. Dies kommt einem Quantensprung gleich. Erstmals sitzen ‘wir’ selbst in den die Gesetze beratenden Regierungskommissionen. Die Positionierung der sozialen Gruppe hat sich deutlich verschoben: von der Peripherie ins Zentrum der Gesellschaft. Ausgrenzung braucht deshalb nicht mehr durch radikale Stigma-Umkehr angeprangert zu werden, sie lässt sich jetzt durch aktives Mitgestalten überwinden. In diese Politiktradition fällt auch der Kampf um die »Eingetragene Lebenspartnerschaft« (‘Homoehe’). Sie wird, davon bin ich überzeugt, die zentrale staatliche Institution der Ehe nachhaltig verändern und gleichzeitig zu einer umfassenden gesellschaftlichen Akzeptanz schwuler Lebensstile führen. Im Unterschied zur Politiktradition der 1970er und 1980er Jahre, als um eine für alle Schwulen normativ verbindliche Lebensform gestritten wurde, geht es bei der ‘Eingetragenen Lebenspartnerschaft’ um die rechtliche Absicherung einer Lebensform für einen relativ kleinen Prozentsatz von Schwulen. Die Erfahrungen aus Dänemark, Schweden und den Niederlanden zeigen, dass nur eine Minderheit der Schwulen tatsächlich heiraten möchte. Diejenigen, die sich mit weniger rechtlichen Verpflichtungen und Rechten binden wollen, sollen dies im Rahmen einer so genannten ‘Nichtehelichen Lebensgemeinschaft’ tun können. Dies entspricht dem Wunsch eines weiteren Kreises von Betroffenen, die gerade deshalb nicht heiraten wollen, weil sie das Normgefüge einer Ehe ablehnen.65 Bei beiden Gesetzesvorhaben geht es somit nicht nur um den Abbau von Diskriminierung, sondern auch um eine Neudefinition staatlicher Schutz- und Förderinteressen. In Zukunft soll nicht mehr der Trauschein über rechtliche Anerkennung und staatlichen Schutz entscheiden, sondern das solidarische Zusammenleben von Menschen, die Erziehung von Kindern (beispielsweise auch durch allein erziehende Väter und Mütter) oder die Pflege hilfsbedürftiger Personen. Mit dieser Zielrichtung trägt heutige Schwulenpolitik den Erfordernissen einer modernen, pluralistischen Gesellschaft Rechnung. Ich stimme Günter Dworek, wissenschaftlicher Mitarbeiter des GRÜNEN-Bundestagsabgeordneten Volker Beck, zu, dass hinter diesem Politikstil ein die Lebensvielfalt bejahender Geist steht: »Auf der recht erfolglosen Jagd nach Utopien jenseits von Gleichberechtigung hegte die Schwulenbewegung alten Typs stets sehr rigorose Vorstellungen darüber, wie ein richtiges schwules Leben auszusehen habe. Wer nicht ins Raster paßte, wurde in vielen Gruppen schnell ausgegrenzt. Die CSD-Kultur der letzten Jahre hat solche Verengungen überwunden. Am schwulen Kampftag trifft sich alles: Punker und Banker, Einfamilienhausbesitzer ebenso wie Wohngemeinschaftsliebhaber. Seit der Bürgerrechtsansatz sich in der Bewegung durchsetzte, ist Pluralität Trumpf. Eine Bürgerrechtsbewegung sitzt nicht zu Gericht über individuelle Lebensentwürfe. Sie will die Rahmenbedingungen dafür schaffen, daß Schwule ihr Leben selbstbestimmt entwickeln können - frei von Anfeindungen und rechtlichen Nachteilen, frei von Anpassungsdruck an alte Normen.«66 Tabelle: Die Geschichte der homosexuellen Identitätsentwicklung
Zurück zum Inhalt Zurück zum Beginn Anmerkungen1) Vgl. Harriet WHITEHEAD - Sherry B. ORTNER, Sexual Meanings. The Cultural Construction of Gender and Sexuality, Cambridge 1981; Walter L. WILLIAMS, The Spirit and the Flesh. Sexual Diversity in American Indian Culture, Boston 1986. - Zu den verschiedenen Ausprägungen von ‘Homosexualität’ vgl. jetzt Stephen 0. MURRAY, Homosexualities, Chicago - London 2000. Zurück zur Fn. 1 2) Vgl. Gilbert HERDT, The Sambia. Ritual and Gender in New Guinea, New York 1981. Zurück zur Fn. 2 3) Gilbert HERDT, Ritualized Homosexuality in Melanesia, Berkeley 1984, S. X. Zurück zur Fn. 3 4) Michel FOUCAULT, Der Gebrauch der Lüste (Sexualität und Wahrheit. Zweiter Band), Frankfurt am Main 1986, S. 317. Zurück zur Fn. 4 5) John P. DE CECCO - John P. ELIA, A Critique and Synthesis of Biological Essentialism and Social Constructionist Views of Sexuality and Gender, in: Journal of Homosexuality 24, 3/4 (1993) S. 1-26, hier S. 7 f. Zurück zur Fn. 5 6) Unsere Begrifflichkeit lässt sich nicht einfach auf andere Kulturen übertragen. Das Wort ‘Sexualität’ existiert erst seit etwa 150, der Begriff ‘Homosexualität’ seit gut 130 Jahren. Da Bezeichnungen immer auch das jeweilige kulturell geprägte Selbstverständnis ausdrücken, versuche ich entweder die jeweiligen Selbstbezeichnungen zu verwenden oder allgemein von gleichgeschlechtlicher Sexualität unter Männern zu reden. Bietet sich keine der beiden Möglichkeiten, setze ich den Begriff ‘Homosexualität’ lieber in Anführungszeichen. Zur Etymologie der Begriffe vgl. Jörg HUTTER, Die gesellschaftliche Kontrolle des homosexuellen Begehrens. Medizinische Definitionen und juristische Sanktionen im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1992, S. 24-30. Zurück zur Fn. 6 7) Theo VAN DER MEER, Der ‘homosexuelle’ Habitus in der Vormoderne, in: SchwulLesbische Studien Bremen. Mitteilungen Nr. 6 (1997) S. 6-18, hier S. 16. - Auch Stadtrepubliken wie Bremen oder Hamburg zählten zu den hierarchisch aufgebauten Ständestaaten, wenn auch der Zugang zur Führungsschicht weniger stark durch Geburt festgelegt war als in Adelsgesellschaften; vgl. Jakob MICHELSEN, Von Kaufleuten, Waisenknaben und Frauen in Männerkleidern, in: Zeitschrift für Sexualforschung 9, 3 (1996) S. 205-237, hier S. 229. Zurück zur Fn. 7 8)
Constitutio Criminalis Carolina, Artikel 116.
Vgl.
Die Geschichte des § 175. Strafrecht gegen Homosexuelle. Katalog zur
Ausstellung in Berlin und Frankfurt am Main 1990, Berlin 1990, S. 21. 9) Alan BRAY, Homosexuality in Renaissance England, Boston 1988, S. 42. Zurück zur Fn. 9 10) BRAY, Homosexuality ( wie Anm. 9) S. 45. Zurück zur Fn. 10 11) BRAY, Homosexuality S. 49. Zurück zur Fn. 11 12) Thomas LAQUEUR, Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt am Main - New York 1992, S. 134 ff. Zurück zur Fn. 12 13) Diesen Typus von Mann bezeichneten die Zeitgenossen als ‘fob’ (‘Narr’, ‘Fopper’), den gleichgeschlechtlich handelnden Mann hingegen als ‘rake’ (‘Draufgänger’, ‘Wüstling’): Randolph TRUMBACH, Sodomy Transformed. Aristocratic Libertinage, Public Reputation and Gender Revolution of the 18th Century, in: Journal of Homosexuality 19, 2 (1990) S. 105-124, hier S. 105. Zurück zur Fn. 13 14) BRAY, Homosexuality (wie Anm. 9) S. 89. Zurück zur Fn. 14 15) VAN DER MEER, Der ‚homosexuelle’ Habitus (wie Anm. 7) S. 8. Zurück zur Fn. 15 16) Randolph TRUMBACH, Sodomitical Assaults, Gender Role, and Sexual Developement in Eighteenth-Century London, in: Kent GERARD - Gert HEKMA (Hg.), The Pursuit of Sodomy. Male Homosexuality in Renaissance and Enlightenment Europe, New York 1989 (= Journal of Homosexuality 16,1-2,1988) S. 407-429, hier S. 408 f. Zurück zur Fn. 16 17) Michel REY, Police and Sodomy in Eighteenth-Century Paris: From Sin to Disorder, in: Kent GERARD - Gert HEKMA (Hg.), The Pursuit of Sodomy. Male Homosexuality in Renaissance and Enlightenment Europe, New York 1989 (= Journal of Homosexuality 16, 1-2, 1988) S. 129-146, hier S. 129 f. Zurück zur Fn. 17 18) Zitiert nach BRAY, Homosexuality (wie Anm. 9) S. 82. Zurück zur Fn. 18 19) Zitiert nach BRAY, Homosexuality (wie Anm. 9) S. 87. Zurück zur Fn. 19 20) Randolph TRUMBACH, Sodomitical Subcultures, Sodomitical Roles, and the Gender Revolution of the Eighteenth Century. The Recent Historiography, in: Wayne R. DYNES - Stephen DONALDSON (Hg.), History of Homosexuality in Europe and America, New York - London 1992, S. 387-399. Zurück zur Fn. 20 21)
Vgl. Max WEBER, Die protestantische Ethik, Bd. 1, Schleswig 3 1973, S. 115 ff.;
Felix RACHFAHL, Kalvinismus und Kapitalismus, in: Max WEBER, Die protestantische
Ethik, Bd. 2, S. 97-110. 22) Horst LADEMACHER, Geschichte der Niederlande, Darmstadt 1983, S. 129 f. Zurück zur Fn. 22 23) LADEMACHER, Geschichte der Niederlande S. 126. Zurück zur Fn. 23 24) Peter BORSAY, The English Urban Renaissance, Oxford 1989, S. 19. Mit der Urbanisierung einher ging der Ausbau des Verkehrswegenetzes; vgl. Hans-Dieter GELFERT, Kleine Kulturgeschichte Großbritanniens, München 1999, S. 173 f. Zurück zur Fn. 24 25) Randolph TRUMBACH, London's Sapphists. From Three Sexes to Four Genders in the Making of Modern Culture, in: Gilbert HERDT (Hg.), Third Sex, Third Gender. Beyond Sexual Dismorphism in Culture and History, New York 1994, S. 111-116, hier S. 120 ff. Zurück zur Fn. 25 26) TRUMRACH, Sodomy Transformed (wie Anm. 13) S. 105 f. Zurück zur Fn. 26 27) TRUMBACH, Sodomitical Assaults (wie Anm. 16) S. 409. Zurück zur Fn. 27 28) Johann Ludwig CASPER, Ueber Nothzucht und Päderastie und deren Ermittelung Seitens des Gerichtsarztes, in: Vierteljahrsschrift für gerichtliche und öffentliche Medicin 1 (1852) S. 21-78, hier S. 21 (auch in: j. S. HOHMANN [Hg.: Der unterdrückte Sexus. Historische Texte zur Homosexualität, Lollar 1977). Zurück zur Fn. 28 29) CASPER, Ueber Nothzucht S. 62. Zurück zur Fn. 29 30)
Zu den sog. ‘Afterbefunden’ vgl.
HUTTER, Die gesellschaftliche Kontrolle
(wie Anm. 6) S. 68 ff. 31)
Die übrigen Petenten traten nur anonym oder unter einem Pseudonym in
Erscheinung: Anonym, Zuschrift an den General=Staatsanwalt Dr. F. Schwarze,
Zentrales Staatsarchiv Potsdam, Reichskanzleramt 14. 01. (28. 9. 1869), Akte
637, Bl. 45-47 Rs.; Anonym, Petition an die Reichtagskommission, den § 173. des Strafgesetzbuches nach den Gesetzgebungen Bayerns und Frankreichs abzuändern,
Zentrales Staatsarchiv Potsdam, Reichstag 01. 01. (1870), Akte 826, Bl. 10; Paul
Freimuth, Blätter aus dem Tagebuch eines Unglücklichen, Zentrales
Staatsarchiv Potsdam, Reichskanzleramt 14. 01. (19.2.1870), Akte
625, Bi. 125-166 Rs.; Ders., Brief mit Anlage an den Preußischen
Justizminister, Zentrales Staatsarchiv Potsdam, Reichskanzleramt 14. 01. (26. 2.
1870), Akte 625, Bl. 169-208 Rs.; Gustav (?), Petition an die
Reichtagskommission, den §. 173. des Strafgesetzbuches zu streichen, Zentrales
Staatsarchiv Potsdam, Reichstag 01. 01. (1870), Akte 826, Bl. 7 Rs.
- Im Druck erschienen, ebenfalls anonym, die Schriften von Karl Maria
Kertbeny: Ȥ 143 des Preussischen Strafgesetzbuches vom 14. April 1851
und seine Aufrechterhaltung als § 152 im Entwurfe eines Strafgesetzbuches für
den Norddeutschen Bund«, Leipzig 1869, und »Das Gemeinschädliche des § 143
des Preussischen Strafgesetzbuches vom 14. April 1851 und daher seine
nothwendige Tilgung als § 152 im Entwurfe eines Strafgesetzbuches für den
Norddeutschen Bund, Leipzig 1869, Nachdruck in: Karl Maria KERTBENY, Schriften
zur Homosexualitätsforschung, hg. von Manfred HERZER, Berlin 2000 (Bibliothek
rosa Winkel 22). 32) Geheimes Staatsarchiv Dahlem, Preußisches Justizministerium 84a (21. 11. 1868), Akte 8027, Bl. 126 (Adolf G. W. Leonhardt). Zurück zur Fn. 32 33) Ulrichs' Petitionen sind abgedruckt bei: Jörg HUTTER, Die Entstehung des § 175 im Strafgesetzbuch und die Geburt der deutschen Sexualwissenschaft, in: Männerliebe im alten Deutschland. Sozialgeschichtliche Abhandlungen, hg. von Rüdiger LAUTMANN und Angela TAEGER, Berlin 1992 (Sozialwissenschaftliche Studien zur Homosexualität 5) S. 226-231, hier S. 226 ff. (mit Abbildung). Zurück zur Fn. 33 34) Johann Ludwig CASPER, Practisches Handbuch der gerichtlichen Medicin, Berlin 1858, S. 174. Zurück zur Fn. 34 35) HUTTER, Die Entstehung des § 175 (wie Anm. 33) S. 200 f. (mit Abbildung). Zurück zur Fn. 35 36) Eingabe vom 4. März 1869: HUTTER, Die Entstehung des § 175 S. 229. Zurück zur Fn. 36 37) Vgl. HUTTER, Die Entstehung des § 175 S. 204 - 208; DERS., Die gesellschaftliche Kontrolle (wie Anm. 6) S. 152-157. Zurück zur Fn. 37 38) HUTTER, Die Entstehung des § 175 (wie Anm. 33) S. 230 f. Zurück zur Fn. 38 39) HUTTER, Die Entstehung des § 175 (wie Anm. 33) S. 231. Zurück zur Fn. 39 40) Carl WESTPHAL, Die conträre Sexualempfindung. Symptom eines neuropathischen (psychopathischen) Zustandes, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 2 (1869), S. 73-108 (auch in: J. S. HOHMANN [Hg.], Der unterdrückte Sexus. Historische Texte zur Homosexualität, Lollar 1977). Zurück zur Fn. 40 41) Vgl. Volkmar SIGUSCH, Karl Heinrich Ulrichs. Der erste Schwule der Weltgeschichte, Berlin 2000 (Bibliothek rosa Winkel 21), S. 52 f. Zurück zur Fn. 41 42) Vgl. SIGUSCH, Karl Heinrich Ulrichs S. 30-35 (Zitat S. 32 Anm. 30). Zurück zur Fn. 42 43) Magnus HIRSCHFELD, Die Homosexualität des Mannes und des Weibes, Berlin 1914, S. 22 f. Zurück zur Fn. 43 44) Vgl. Magnus HIRSCHFELD, Berlins Drittes Geschlecht [zuerst 1904], hg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred HERZER, Berlin 1991 (Bibliothek rosa Winkel 1). Im Anhang (S. 165-194): Paul NÄCKE, Ein Besuch bei den Homosexuellen in Berlin (zuerst erschienen im Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik 15, 1904). Zurück zur Fn. 44 45) Vgl. Angela TAEGER - Rüdiger LAUTMANN, Sittlichkeit und Politik. § 175 im Deutschen Kaiserreich (1871-1919), in: Männerliebe im alten Deutschland. Sozialgeschichtfiche Abhandlungen, hg. von Rüdiger LAUTMANN und Angela TAEGER, Berlin 1992 (Sozialwissenschaftliche Studien zur Homosexualität 5) S. 239-268. Zurück zur Fn. 45 46) HIRSCHFELD, Die Homosexualität (wie Anm. 43) S. 976. Zurück zur Fn. 46 47) Zu den Skandalprozessen um die Jahrhundertwende vgl. Isabell V. HULL, Kaiser Wilhelm II und der »Liebenberg-Kreis«, in: Männerliebe im alten Deutschland. Sozialgeschichtliche Abhandlungen, hg. von Rüdiger LAUTMANN und Angela TAEGER, Berlin 1992 (Sozialwissenschaftliche Studien zur Homosexualität 5) S. 81-117, und John C. G. RÖHL, Fürst Philipp zu Eulenburg. Zu einem Lebensbild, in: Männerliebe im alten Deutschland S. 119-140. Zurück zur Fn. 47 48) TAEGER - LAUTMANN, Sittlichkeit und Politik (wie Anm. 45) S. 246. Zurück zur Fn. 48 49)
Zum Vorentwurf von 1909 vgl. HUTTER, Die gesellschaftliche Kontrolle (wie Anm.
6) S. 158-170. 50) Brief an das Reichsjustizamt, Zentrales Staatsarchiv Potsdam, Reichsjustizamt
30. 01. 51) Brief an das Reichsjustizamt, Zentrales Staatsarchiv Potsdam, Reichsjustizamt 30. 01. (2.2.1902), Akte 5773, Bl. 191. Zurück zur Fn. 51 52)
Martin DANNECKER - Reimut REICHE, Der gewöhnliche Homosexuelle. Eine
soziologische Untersuchung über männliche Homosexuelle in der Bundesrepublik,
Frankfurt am Main 1974, S. 16-19. 53) DANNECKER - REICHE, Der gewöhnliche Homosexuelle S. 355 f. Diese Interpretation scheint an den Haaren herbeigezogen. Abgesehen davon, dass hier ablehnende Äußerungen pauschal als hasserfüllt interpretiert werden, kann wohl empirisch nicht sein, was ideologisch nicht sein darf. Offensichtlich ist es den Autoren schwer gefallen, die Resultate so zu nehmen, wie sie sind: als eine Bestandsaufnahme homosexuellen Lebens. Zurück zur Fn. 53 54) DANNECKER - REICHE, Der gewöhnliche Homosexuelle S. 351, 352, 355. Zurück zur Fn. 54 55) Vgl. Gilbert HERDT, Same Sex, Different Cultures. Gays and Lesbians Across Cultures, Boulder 1997, S. 14. Zurück zur Fn. 55 56) Marco ATLAS: ‘E tu Marco, sei fidanzato?’ Ethnologische Feldforschung in Süditalien und Anthropologie der Homosexualität (Kulturwissenschaftliche Magisterarbeit, Fachbereich 9 der Universität Bremen, Bremen 1999) S. 42-71. Man kann also sagen, dass Ulrichs' Homosexualitätstheorie dort, wo er zuletzt gelebt hat, durchaus noch weiter existiert. Zurück zur Fn. 56 57) DANNECKER - REICHE, Der gewöhnliche Homosexuelle (wie Anm. 52) S. 204. Zurück zur Fn. 57 58) DANNECKER - REICHE, Der gewöhnliche Homosexuelle (wie Anm. 52) S. 11. Zurück zur Fn. 58 59) DANNECKER - REICHE, Der gewöhnliche Homosexuelle (wie Anm. 52) S. 180 f. Zurück zur Fn. 59 60) Frankfurter Rundschau, 14. 7. 1980, abgedruckt in: Dieter BACHNIK - Rainer SCHÄDLICH (Hg.), alle Schwestern werden Brüder ... , Berlin 1986, S. 268. Zurück zur Fn. 60 61) John I. KITSUSE, Coming-out-all-over: Deviants and the Politics of Social Problems, in: Social Problems 28 (1980) S. 1-13. Zurück zur Fn. 61 62) Vgl. Annmarie JAGOSE, Queer Theory, New York 1997; Janice L. RISTOCK - Catherine G. TAYLOR, Inside the Academy and Out: Lesbian/Gay/Queer Studies and Social Action, Toronto 1998; Leslie J. MORAN - Daniel MONK - Sarah BERESFORD, Legal Queeries: Lesbian, Gay and Transgender Legal Studies, Cassell 1999. Zurück zur Fn. 62 63) Jörg HUTTER - Volker KOCH-BURGHARDT - Rüdiger LAUTMANN, Ausgrenzung macht krank. Homosexuellenfeindschaft und HIV-Infektionen, Wiesbaden 2000, S. 42-124. Zurück zur Fn. 63 64) Ulrich BECK - Elisabeth BECK-GERNSHEIM, Das ganz normale Chaos der Liebe, Frankfurt am Main 1990, S. 12 ff. Zurück zur Fn. 64 65) Vgl. Volker BECK - Rita GRIESSHABER - Marieluise BECK u. a., Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse nichtehelicher Lebensgemeinschaften (Drucksache 13/7228 des Deutschen Bundestages, Bonn 14.3.1997). Zurück zur Fn. 65 66) Günter DWOREK, Pluralität ist Trumpf, in: taz 14. 7. 1997. Zurück zur Fn. 66 Zurück zum Inhalt Zurück zum Beginn Themenverwandte Links
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