Vorwort
    Jan 
    Philipp Albrecht spricht in seinem Vorwort zu dieser Broschüre von 
    Gruppierungen, sogar Parteien und Abgeordneten, die zur Hatz gegen Jüdinnen 
    und Juden, MigrantInnen, Behinderte, Obdachlose und Homosexuelle aufrufen. 
    Ich habe in meinem Beitrag explizit auch die Punkerinnen und Punker erwähnt, 
    die ebenso zum Feindbild der rechtextremen Anschauungen  und genauso 
    wie die genannten Gruppen zu den Opfern rechtextremer Gewalt zählen. Damit 
    sie nicht zu den vergessenen Gruppen rechtsextremer Gewalt zählen, habe ich 
    eine Passagen, die der Herausgeber bei der Redaktion meines Artikels gekürzt 
    hat und die Gewalt gegen Punks betrifft, in dieser Online-Version in voller 
    Länge wiedergegeben. 
    
    Schwule Nazis und weibliche Nazi-Kader - Ideologie und Wirklichkeiten, 
    in: Strategien gegen Rechtsextremismus (Hrsg. Jan Philipp Albrecht, MdEP), 
    Berlin 2012, S. 47-58
    
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    Auf 
    den ersten Blick scheinen Einstellungen zu Geschlecht und Sexualität nicht 
    zu den Kernbeständen rechtsextremer Ideologie zu gehören, die sich im 
    Wesentlichen um „Volksgemeinschaft“, „Rasse“ und „Nation“ dreht. Doch wenn 
    bei Nazi-Kadern die persönliche Lebensweise von einer national geprägten 
    weiblichen Geschlechtsrolle oder der männlichen heterosexuellen Identität 
    abweichen, irritiert dies in erster Linie die Rechtsextremen selbst. Denn 
    diese Abweichungen verdeutlichen die Brüchigkeit der rechtsextremen 
    Ideologie, die von einem völlig gleichförmigen Sozialgefüge träumt und doch 
    schon in den eigenen Reihen an dem selbst gesetzten Anspruch scheitert. 
    Dessen ungeachtet zählen Schwule und Lesben sowie linke Frauen zu den Opfern 
    von Hassverbrechen, da sie wie Fremde, Menschen mit dunkler Hautfarbe, 
    Menschen mit Handikaps, Obdachlose, Punks oder politisch Andersdenkende zu 
    den Hauptfeindgruppen der Rechtsextremen zählen.
    
    
    Idealtypisch lassen sich drei Gruppen von Frauen und Männern unterscheiden 
    und entsprechend gesellschaftlich bewerten:
    
    1.   Die Fetischisten bzw. Fetischistinnen, die Naziembleme, 
    Schaftstiefel und Uniformen der SS, SA und/oder Wehrmacht nutzen, indem sie 
    diese etwa in sadomasochistischen sexuellen Handlungen erotisch besetzen,
    
    2.   Die überzeugten Rechtsextremen, die versuchen, ihr 
    Homosexuell-Sein bzw. feministische Überzeugungen in die rechtsextreme 
    Ideologie zu integrieren,
    
    3.   Die 
    Gewaltbereiten, die aus Hass gegen Menschen vorgehen, weil diese in 
    irgendeiner Form anders sind.
    
    Zu den Fetischisten
    
    
    Nationalsozialistische Symbole zu erotisieren und zu sexualisieren, mag 
    manchen abstoßen – sicherlich auch die Rechtsextremen selbst. Lebbar ist 
    diese Form der Sexualität losgelöst von rechtsextremer Überzeugung, da 
    Menschen nun einmal in der Lage sind, in ihrer Fantasie nahezu alles zu 
    fetischisieren bzw. zu erotisieren.
    
    
     Zu 
    den überzeugten Rechtsextremen
Zu 
    den überzeugten Rechtsextremen
    
    Bei den 
    überzeugten rechtsextremen Frauen denkt man zunächst, dass rechtsextreme 
    Einstellungen mit einem traditionellen weiblichen Rollenverständnis und der 
    Betonung der Mutterschaft korrespondieren müssen. Die „Gemeinschaft 
    Deutscher Frauen“ (GDF) formuliert tatsächlich mit völkischen Argumenten und 
    mutterschaftsfixiert: „Ihr wollt dienen, euch der Gemeinschaft nützlich 
    machen und damit unserem geliebten deutschen Volk (ob es noch schläft oder 
    nicht) helfen? (…) Die, die gekommen sind, um zu dienen – in Ehrfurcht vor 
    dem heiligen Ziel – diese Frauen ruft Deutschland, ruft die kommende 
    Generation – ruft die Gemeinschaft Deutscher Frauen. (…) Wir ermuntern 
    Frauen nicht nur zur politischen Betätigung, sondern auch dazu, ihrer 
    Bestimmung zu folgen und Mutter zu werden. Wir behaupten, dass die wenigsten 
    Frauen glücklich werden können, wenn sie das Mutterglück nicht kennen 
    gelernt haben“ (zitiert nach Renate Bitzan 2008). Ähnlich strikt nach 
    Geschlechtern getrennt hat die 2009 verbotene Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) 
    ihre Zeltlager organisiert. Die Jungen trugen uniformähnliche dunkle Jacken, 
    Grauhemden und schwarze Zunfthosen, die Mädchen dunkle Röcke und weiße 
    Blusen (Andrea Röpke 2008).
    
    Eine 
    deutliche Verschiebung der Argumentationsschwerpunktes findet sich hingegen 
    bei dem „Mädelring Thüringen“ (MRT): „Die Frau von heute ist nicht nur 
    Hüterin der Familie und des Heims, sondern auch gleichwertige Mitgestalterin 
    des öffentlichen Lebens, das alle Lebensbereiche und Berufsfelder 
    gleichermaßen beinhaltet (…) Wir wollen natürlich nicht den Fehler machen, 
    ein Frauenbild zu schaffen, das sich von seiner naturgegebenen Aufgabe –  
    dem Mutterdasein loslöst. Aber im Gegenzug wollen wir eine übertriebene 
    Stilisierung der Mutterrolle vermeiden. (…) ist die Zeit gekommen, (…) eine 
    Alternative anzubieten und diese stellt der Nationale Feminismus dar. (…) 
    Nationaler Feminismus voran!“ (zitiert nach Renate Bitzan 2008).
    
    
     In 
    der Publikation der neurechten Theoretikerin Sigrid Hunke wendet sich diese 
    gegen die Geschlechterhierarchie und gegen geschlechtliche Arbeitsteilung. 
    Vielmehr vertritt sie die These von der Gleichgestelltheit von Mann und Frau 
    bei den Germanen/innen. Kulturrelativistisch reserviert sie das 
    Gleichheitsmodell nur für die nordischen Menschen und grenzt andere Kulturen 
    aus ihrer Zukunftsvision bewusst aus (Renate Bitzan und Beate Hans, 
    Berlin-Amsterdam 1994). Die Sozialwissenschaftlerinnen Bitzan und Hans 
    stellen nach der Analyse von Artikeln über rechtsextreme Frauen in Brigitte, 
    Spiegel und Bild der Frau sowie zwei Fernsehbeiträgen in VOX und Sat 1 fest: 
    Es existieren eine Vielfalt von Positionen und Meinungen beim Thema Familie 
    und Beruf, erst recht aber in der Abtreibungsfrage. Beim Thema „Eigener 
    Nachwuchs“ etwa setzt sich eine Vertreterin der Wiking-Jugend (WJ) für die 
    Arterhaltung ein, was für sie bedeute, mehrere Kinder in die Welt zu setzen. 
    Ursula Worch von der Nationalen Liste (NL) vertritt hingegen den Standpunkt, 
    dass es ja schon genügend Kinder gebe und Frau nicht unbedingt selber welche 
    bekommen müsse (Renate Bitzan und Beate Hans, Berlin-Amsterdam 1994).
In 
    der Publikation der neurechten Theoretikerin Sigrid Hunke wendet sich diese 
    gegen die Geschlechterhierarchie und gegen geschlechtliche Arbeitsteilung. 
    Vielmehr vertritt sie die These von der Gleichgestelltheit von Mann und Frau 
    bei den Germanen/innen. Kulturrelativistisch reserviert sie das 
    Gleichheitsmodell nur für die nordischen Menschen und grenzt andere Kulturen 
    aus ihrer Zukunftsvision bewusst aus (Renate Bitzan und Beate Hans, 
    Berlin-Amsterdam 1994). Die Sozialwissenschaftlerinnen Bitzan und Hans 
    stellen nach der Analyse von Artikeln über rechtsextreme Frauen in Brigitte, 
    Spiegel und Bild der Frau sowie zwei Fernsehbeiträgen in VOX und Sat 1 fest: 
    Es existieren eine Vielfalt von Positionen und Meinungen beim Thema Familie 
    und Beruf, erst recht aber in der Abtreibungsfrage. Beim Thema „Eigener 
    Nachwuchs“ etwa setzt sich eine Vertreterin der Wiking-Jugend (WJ) für die 
    Arterhaltung ein, was für sie bedeute, mehrere Kinder in die Welt zu setzen. 
    Ursula Worch von der Nationalen Liste (NL) vertritt hingegen den Standpunkt, 
    dass es ja schon genügend Kinder gebe und Frau nicht unbedingt selber welche 
    bekommen müsse (Renate Bitzan und Beate Hans, Berlin-Amsterdam 1994).
    
    Die 
    Abtreibungsfrage versetzt das rechte Lager erst recht in Aufruhr: Die in den 
    Interviews vertretenen Positionen reichen von „Das sollte jede Frau für sich 
    entscheiden“ über die strikte Ablehnung jeder Abtreibung bis hin zu der 
    rechtsextremen Auffassung, gesunde deutsche Frauen dürften grundsätzlich 
    nicht abtreiben, ausgenommen, es werde eine Behinderung festgestellt (Renate 
    Bitzan und Beate Hans, Berlin-Amsterdam 1994).
    
    Die 
    Meinungen gehen dann beim Thema Homosexualität völlig auseinander und haben 
    schon öfters zum Streit in der Neonazi-Szene geführt. Michael Kühnen etwa, 
    bis zu seinem Aids-Tod 1991 einer der bekanntesten und wichtigsten 
    Exponenten des militanten Rechtsextremismus und Sprecher der 
    Organisationsleitung der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale 
    Aktivisten (ANS/NA)“ konnte einen Fememord an einem Mitstreiter 1981 nicht 
    verhindern. In einem Flugblatt haben ANS-Kader Anfang der 1980er Jahre 
    zunächst die Rechtsextremen Johannes Bügner und Philipp Schönmann als 
    „Homos“ denunziert und Bügner später ermordet. Den Mordauftrag gab Kühnens 
    Stellvertreter Michael Frühauf (Thomas Hartmann 1996, Eugen Kirch 1994).
    
    1986 kommt 
    es erneut zum Streit und zur Spaltung. Jürgen Mosler, Konkurrent des bis 
    dato unangefochtenen Neonazi-Führer Kühnen startet eine Hetzkampagne gegen 
    Homosexuelle. „Schwule sind Verräter am Volk und damit an uns“. Der Streit 
    führt zur Spaltung der ANS-Nachfolgeorganisation, der Gesinnungsgemeinschaft 
    Neuen Front. Kühnen tritt unter Protest und mit dem Bekenntnis zu seiner 
    eigenen Homosexualität aus. Gleichzeitig publiziert er seine Schrift 
    „Homosexualität und Nationalsozialismus“, in der er versucht, den 
    idiologischen Graben zwischen homosexuellem Lebensstil und 
    nationalsozialistischer Ideologie zu überbrücken.
    
    Die Frau 
    sei nach Kühnen als Naturwesen eher für Empfängnis und Erziehung der Kinder 
    zuständig. Während der Sexualtrieb „der Fortpflanzung (dient) und das Leben 
    der Frau erfüllt“, sei die männliche Sexualität „offen, nicht 
    zielgerichtet.“ Da der Zeugungsakt ja nur kurze Zeit in Anspruch nehme, 
    könne der Mann seine überschüssige Energie „innerhalb eines Männerbundes 
    sexuell“ ausleben. Männerbünde seien dank ihrer inneren Ordnung im 
    Überlebenskampf klar überlegen, da sie Stabilisierung und Dauerhaftigkeit 
    der Herrschaft versprechen. Homosexuelle Männer seien besonders dazu 
    berufen, Führung in der Horde oder Sippe zu übernehmen.
    
    Wie können 
    solche Überlegungen in Einklang gebracht werden mit der 
    homosexuellenfeindlichen Haltung des NS-Regimes? Für das Dritte Reich 
    differenziert Kühnen. Im Parteiprogramm der NSDAP stehe nichts von einer 
    Pflicht zur Heterosexualität. Hitler habe sich anfangs vor den schwulen 
    SA-Führer Ernst Röhm gestellt. Erst mit dem Röhm-Putsch 1934 begannen die 
    Nationalsozialisten, Homosexualität zu diskriminieren, ein „Einbruch der 
    art- und naturfremden jüdisch-christlichen Moralauffassungen“. Letztlich sei 
    das Dritte Reich 1945 gescheitert, der Zusammenbruch beweist, „dass 
    heterosexuelle Beziehungen einen Männerbund kaum innerlich festigen können“ 
    (Michael Kühnen 1986, Klaus Wolschner 1986, Thomas Hartmann 1996).
    
    In der 
    Realität organisieren sich heute neben den Nazi-Kadern viele Rechtsextreme 
    in Gay-Newsgroups. Ich habe mich dann daran erinnert, wie ich das erste Mal 
    von der Existenz einer schwulen Nazigruppe erfahren habe. Es handelte sich 
    um eine Yahoo-Newsgroup, die versucht hatte, einen Link zu Ihrer Seite in 
    meinem Gästebuch zu platzieren. Nach Recherche bei Yahoo bin ich 2003 auf 
    eine Vielzahl dieser Gruppen gestoßen. Die Gruppe „gaySSbroSS“ 
    beispielsweise konnte mehr als 700 Mitglieder aufweisen – ein Umfang, der 
    mich schon erstaunt hat.
    
    2009 habe 
    ich bei der Vorbereitung einer Diskussionsveranstaltung erneut bei Yahoo 
    recherchiert und bin innerhalb weniger Minuten erneut fündig geworden. Die 
    einschlägigste Gruppe firmiert unter dem Namen: „Gay Neo Nazi Skinheads 
    proud88“ mit 204 Mitgliedern, „Ordnung und Tod“ mit 53 Mitgliedern und an 
    Absurdität nicht mehr zu übertreffen: „SiegSchwul“, eine Gruppe, die seit 
    2003 mit einem regenbogenfarbenen Hakenkreuz für diese „straight hater group 
    for gays“ wirbt.
    
    Wie man 
    sich beim letzten Symbol denken kann, gerät man hier ganz schnell in eine 
    Debatte, bei der es um Verbot und Zensur geht. Aus drei Gründen bin ich 
    jedoch gegen diese Verbotsdebatte:
    
    1.   Es handelt sich zunächst einmal um Meinungsäußerungen, so 
    verschroben sie auch daher kommen. Das Verwenden von verfassungsfeindlichen 
    Symbolen steht zudem nur in Deutschland unter Strafe. Die Allgemeine 
    Erklärung der Menschenrechte der UN-Vollversammlung vom 10.12.1948 im 
    Artikel 19 und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 
    7.12.2000 garantieren jedoch die freie Äußerung von – eben auch 
    rechtsextremen – Gedanken.
    
    2.   Die Gedanken sind bekanntlich frei und lassen sich durch 
    Verbote nicht eliminieren. Die Betreffenden werden lediglich in den 
    Untergrund gedrängt und sind dann nur schwerer zu finden. Verschwunden sind 
    sie nicht.
    
    3.   Als wichtigstes Element gilt jedoch: Verbotsdebatten führen 
    die Aufmerksamkeit unweigerlich in die falsche Richtung. Anstatt sich 
    inhaltlich mit rechtsextremem Gedankengut auseinander zu setzen, diskutiert 
    die Öffentlichkeit Erfolgsaussichten der Verbote, Zensur und Menschenrechte. 
    Die Rechtsextremen können sich derweil beruhigt zurücklehnen und als 
    Märtyrer bestätigt fühlen.
    
    Auffallend 
    an der bisherigen Darstellung ist, dass sich Lesben im rechtsextremen Milieu 
    bislang nicht zu Wort gemeldet haben. Die Sozialwissenschaftlerinnen Bitzan 
    und Hans resümieren in einer Fußnote, dass Lesben sowohl vor als auch über 
    rechtsextreme Frauen so gut wie nie sprachlich oder inhaltlich auftauchen 
    (Renate Bitzan und Beate Hans, Berlin-Amsterdam 1994). Die größere soziale 
    Unsichtbarkeit der weib-weiblichen Sexualität und die 
    nationalsozialistische Subsumierung lesbischer Lebensstile unter Asozialität 
    mag der Grund dafür sein, dass sich bislang explizit keine rechtsextremen 
    Lesben zu Wort gemeldet haben.
    
    Letztlich 
    belegen die unterschiedlichen rechtsextremen Einstellungen zu Geschlecht und 
    Sexualität die Brüchigkeit rechtsextremer Ideologie. Gerade die 
    Homosexualität der eigenen Nazi-Kader löst bei den meisten Rechtsextremen 
    stets eine reflexartige homophobe Abwehrhaltung hervor. Die rechtsextremen 
    Homosexuellen selbst können die Widersprüchlichkeit von Ideologie und 
    Wirklichkeit nur mit mühsam bemühten Hilfskonstruktionen überbrücken. Und ob 
    die Frauen, die sich für einen nationalen Feminismus stark machen und gegen 
    das Patriarchat auflehnen, die männerdominanten und stark hierarchisch 
    strukturierten Nazi-Kader tatsächlich stärken, oder Streit und inneren 
    Konflikt säen, bleibt abzuwarten.
    
    Zu den gewaltbereiten 
    Rechtsextremen
    
    Nicht 
    jeder, der rechtsextrem denkt, ist automatisch gewaltbereit und gewalttätig. 
    Doch offenkundig ist, dass rechtsextrem eingestellte Personen seit Jahren 
    für eine Vielzahl rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt 
    verantwortlich sind. Die Dokumentation der Chronik der Gewalt – 
    veröffentlicht auf der Webseite „MUT gegen rechte Gewalt“ der 
    Amadeu Antonio 
    Stiftung legt ein bedrückendes Zeugnis ab für diese menschenverachtende 
    Gewalt. Seit der 
    deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 bis Ende 2009 sind nach 
    Recherchen der MUT-Redaktion und des Opferfonds CURA 149 Menschen durch die 
    Folgen rechtsextremer Gewalt ums Leben gekommen. Zudem bleiben viele Fälle 
    in den offiziellen Statistiken unerwähnt (MUT-Redaktion,
    Chronik rechtsextremer 
    und rassistischer Gewalt 2007 bis 2009).
    
    Der Anteil 
    der an Straf- und Gewalttaten beteiligten Frauen beträgt mittlerweile 10 
    Prozent, Tendenz steigend (Renate Bitzan 2008; Michaela Köttig 2004). Die 
    gewalttätigen Frauen jedenfalls scheinen das weibliches Rollenverständnis 
    von der zu kurativen Tätigkeiten verpflichteten, erziehenden Mutter ad acta 
    gelegt zu haben. Zwei Beispiele zeigen, dass rechtsextreme Frauen gewillt 
    und in der Lage sind, Menschen aufgrund ihres Andersseins zu ermorden.
    
    Am 21. 
    Dezember 2007 greifen zwei Männer und eine Frau eine 19jährige Frau in 
    Halberstadt an. Mit der Frage, ob sie „links sei“ schubst die Rädelsführerin 
    Antje W. ihr Opfer in einer Parkanlage auf den Rasen, schlägt und tritt ihr 
    Opfer mehrfach ins Gesicht und bedroht es mit dem „Bordstein-Kick“, bei dem 
    den Opfern Gesicht und Genick zertrümmert werden. Die junge Frau erleidet 
    durch Schläge und Tritte gegen den Kopf u.a. einen Augenhöhlenbruch, der mit 
    hoher Wahrscheinlichkeit bleibende Taubheit der linken Gesichtshälfte zur 
    Folge hat. Die Verletzungen bezeichnet die Rechtsmedizin der Universität 
    Magdeburg als „potenziell lebensgefährlich“. Das Amtsgericht Halberstadt 
    verurteilt die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu 
    Haftstrafen, für den rechtsextremen Hintergrund der Tat interessieren sich 
    die Richter nicht (MUT gegen rechte Gewalt, Augenhöhlenbruch, 25.07.2009).
    
    Am 2. März 
    2008 stößt eine 20jährige Frau einen dunkelheutigen Mann in Berlin vor einen 
    S-Bahnzug. Nur die schnelle Reaktion des Opfers und die Hilfe zweier 
    Fahrgäste, die den 19jährigen vom Gleis ziehen, retten ihn vor dem 
    herannahenden Zug der Ringbahn. Polizeibeamte nehmen die Täterin fest. Der 
    polizeiliche Staatsschutz nimmt Ermittlungen wegen versuchten Mordes auf 
    (MUT gegen rechte Gewalt, Chronik rechtsextremer und rassistischer Gewalt 
    2007 – 2009, 2.03.2008).
    
    Inwieweit 
    homosexuelle Neonazis an rassistischen und antisemitischen Gewalttaten 
    beteiligt sind, ist nicht feststellbar, da die Strafverfolgungsbehörden die 
    sexuelle Identität der Täter nicht ermitteln. Sehr wahrscheinlich sind sie 
    jedoch auch an Gewalttaten beteiligt: zum einen, um sich und den 
    anderen Nazi-Kadern zu beweisen, dass sie entgegen des Klischees vom 
    weibischen Homosexuellen hart kämpfen können. Zum anderen teilen sie ja – 
    mit Ausnahme der Einstellung zur eigenen Homosexualität – die rechtsextremen 
    und rassistischen Einstellungen der heterosexuellen Rechtsextremen.
    
    
    Offenkundig blenden Polizei und Justiz in vielen Fällen den 
    rechtsradikalen Hintergrund der Taten aus. Zwei Beispiele mögen das 
    belegen:
    
    Der 
    18jährige Marcel W. soll als Zeuge gegen den unter Bewährung stehenden 
    bekennenden Nationalsozialisten David B. aussagen. David B. soll sein Opfer 
    Marcel W. bereits im November 2007 zusammengeschlagen haben. Zwei Tage bevor 
    Marcel W. seine Zeugenaussage vor Gericht ablegen soll, tötet David B. sein 
    Opfer im August 2008 in seiner Wohnung in Bernburg mit mehreren 
    Messerstichen in Bauch und Oberkörper. Wie das Opfer in die Wohnung des 
    Täters gekommen ist, lässt sich nicht aufklären. Das Landgericht Magdeburg 
    verurteilt den 20jährigen David B. 2009 wegen Todschlags zu einer 
    achtjährigen Haftstrafe.
    
    Die 
    MUT-Redaktion der 
    Amadeu Antonio 
    Stiftung spricht von einer merkwürdigen Urteilsfindung, da die Richter 
    keinen Zusammenhang zur rechten Gesinnung des Täters sehen, sondern von 
    einem Spontantäter sprechen. Bereits die Abteilung der Staatsanwaltschaft – 
    zuständig für Verkehrsdelikte – habe keinerlei Interesse an einer Aufklärung 
    möglicher rechter Tathintergründe gezeigt. Vorstrafen und Zeugenaussagen 
    haben vor Gericht jedoch bestätigt, dass es sich bei David B. um einen 
    bekennenden Rechtsextremen handele. Er ist bereits wegen gefährlicher 
    Körperverletzung, Zeigen des Hitlergrusses und Bedrohung von Migranten 
    vorbestraft. Die Freundin von Marcel W. berichtet zudem, dieser habe 
    „panische Angst“ vor dem körperlich überlegenen David B. gehabt (MUT 
    gegen rechte Gewalt, Neonazi schlägt Zeugen tot, 26.06.2009).
    
    Ein 
    zweites, sehr bekannt gwordenes Beispiel betrifft den Überfall auf einen 
    19jährigen Punk auf dem Vorplatz der Stadthalle in Berga.
    Am 9. Februar 2008 wird dieser aufgrund seiner 
    Punk-Frisur und seines Äußeren deutlich als nicht-rechter Jugendlicher 
    erkennbar von einer Gruppe Rechtsextremisten angegriffen. Die Gruppe umringt 
    das Opfer und beleidigt ihn u.a. als „Zecke“. Laut Augenzeugen erhält er 
    mindestens einen massiven Schlag auf den Kopf, durch den er zu Boden stürzt. 
    Als Zeugen eingreifen und Rettungskräfte alarmieren, verlassen die Nazis den 
    Vorplatz der Stadthalle. Die Rettungskräfte fliegen das Opfer mit einem 
    Rettungshubschrauber in eine Klinik, da es eine lebensgefährliche 
    Hirnblutung erlitten hat. Der Punk liegt mehrere Wochen im Koma und wird ein 
    halbes Jahr in Reha-Kliniken behandelt. Er hat bleibende körperliche Schäden 
    davon getragen und seine Lehrstelle verloren, da er aufgrund der 
    körperlichen Einschränkungen seinen Ausbildungsberuf nicht mehr ausüben 
    kann.
    
    
    Die 
    Strafverfolgungsbehörden verschwiegen der Öffentlichkeit zunächst, dass es 
    sich bei dem Angriff auf den Punk um eine rechtsextrem motivierte Gewalttat 
    handelt. Die Staatsanwaltschaft zeigt ein knappes Jahr lang kein Interesse 
    an der Strafverfolgung der namentlich bekannten mutmaßlichen Täter. Erst als 
    das Fernsehmagazin Kontraste Anfang 2009 für einen Bericht über den Fall 
    recherchiert, ändern die Strafverfolgungsbehörden ihr Vorgehen. Sie erheben 
    Anklage wegen schwerer Körperverletzung gegen den inzwischen 19jährigen 
    Oliver L. und gleichaltrigen Marius M. Eine Zeugin im Strafverfahren gegen 
    die mutmaßlichen Angreifer erhält Todesdrohungen. Die Polizei hatte der 
    Zeugin vor ihrer Aussage Anonymität zugesichert, diese Zusicherung aber 
    nicht eingehalten (MUT gegen rechte Gewalt, Mit massivem Schlag beinahe 
    getötet, 25.07.2009). (In der Printversion gekürzt, JH)
    
    Um die 
    Gewaltbereitschaft vor dem Hintergrund rechtsextremer Gesinnung zu 
    verstehen, lohnt es sich, die nationalsozialistische Ideologie des Dritten 
    Reiches in den Blick zu nehmen. Denn offenkundig sind die Feindgruppen von 
    damals genau die gleichen von heute. Die damalige wie die heutige 
    rechtsextreme Herrschaftsideologie war und ist geleitet von einer 
    gesellschaftspolitischen Utopie: Die Nationalsozialisten wie die neuen 
    Rechtsextremen glaubten bzw. glauben, ein in sich völlig gleichförmiges 
    Sozialgefüge schaffen zu können. Abweichungen von dieser 
    gesellschaftspolitischen Utopie definierten die unterschiedlichen 
    Feindgruppen. 
    
    Der 
    Soziologe Wolfgang Sofsky hat herausgearbeitet, dass die Nähe bzw. die Ferne 
    zum Machtzentrum der SS die Überlebenschance einer gesamten 
    Häftlingskategorie in den Konzentrationslagern bestimmte. Die Nähe bzw. 
    Ferne zum Idealbild des ‚arischen’ Menschen lässt sich über zwei Achsen 
    bestimmen: Der Abweichung hinsichtlich der Ethnie bzw. ‚Rasse’ und der 
    Abweichung hinsichtlich sozialer Lebensformen. Auf der ethnischen Achse 
    läuft die zunehmende Distanz von den Nordeuropäern über die Westeuropäer zu 
    den Südeuropäern, dann zu den Slawen, danach zu den Sinti und Roma und 
    zuletzt zu den Juden. Auf der sozialstrukturellen Achse läuft die 
    zunehmende Distanz von den Kriminellen über die Linken, den religiös 
    Abweichenden (Zeugen Jehovas), den Asozialen (u.a. Lesben, Wohnungslose, 
    Bettler), den „Behinderten“ bis zu den homosexuellen Männern am Ende der 
    Skala. Die größte Ferne zum nationalsozialistischen Machtzentrum wurde den 
    Juden auf der ethnischen Achse und den homosexuellen Männern auf der 
    sozialstrukturellen Achse attestiert (Wolfgang Sofzky 1997). 
    
    Die im 
    Lagersystem des Dritten Reiches manifestierte Feindgruppenhierarchie stellen 
    auch die Rechtsextremen von heute her. So lauten etwa die 
    Mitgliedsbedingungen der Yahoo-Newsgroup „Nazi International“ wie folgt:
    
    1.) Nur 
    für Weiße, keine Schwarzen, Araber, Asiaten, Zionisten oder andere Rassen,
    
    2.) Keine
    Schwulen oder Lesben.
    
    Gewaltbereitschaft leitet sich daher aus dem oben 
    skizzierten ideologischen Gedankengebäude ab. Je weiter sich ein Mensch im 
    ethnischen Sinne oder aufgrund seiner Lebensweise von dem rechtsextremen 
    Idealbild entfernt, desto eher gilt er als ‚lebensunwert’. Neben 
    Juden, Migranten und dunkelheutigen Deutschen sind nach diesem Denkschema 
    Linke, Punks, Obdachlose sowie Schwule und Lesben Zielscheibe rechtsextremer 
    Gewalt. Ihr Tod wird nicht nur billigend in Kauf genommen, er ist das 
    erklärte Ziel der meisten Angreifer/innen. Es ist daher nicht 
    akzeptabel, wenn Strafverfolgungsbehörden die rechtsextremen Motive der 
    Täter/innen ausblenden und meinen, ‚nur’ wegen schwerer Körperverletzung 
    oder Todschlag anklagen zu können. Denn wenn die Vernichtung des 
    vermeintlich ‚unwerten Lebens’ das Ziel rechtsextremer Überfälle ist, dann 
    sind die Taten als Mord bzw. Mordversuch zu werten.
    
    
    Schleppende mangelhafte Strafverfolgung werten die extremen Rechten hingegen 
    als Freibrief für weitere Gewalt. Der Appell an die Zivilcourage der 
    Bürger/innen, bei rechtsextremer Gewalt nicht wegzusehen, muss ungehört 
    verhallen, solange Polizei und Justiz nicht konsequent durchgreifen.
    
    Die 
    amerikanische Bürgerrechtsbewegung hat für Verbrechen, die aufgrund der 
    Tatsache verübt werden, dass die Opfer anders sind, den Namen „Hate Crimes“ 
    kreiert, deutsch „Hassverbrechen“ (Gregory M. Herek und Kevin T. 
    Berill 1992). Menschen werden bedroht, verletzt und umgebracht, weil sie 
    anders sind – hinsichtlich ihrer Ethnie und/oder hinsichtlich ihrer 
    Lebensweise. Dieses Motiv kommt wahrlich einem niedrigen Beweggrund gleich.
    
    Zum Umgang mit den drei 
    idealtypischen Gruppen
    
    Den 
    Fetischisten kann man mit Gelassenheit begegnen, da ihre Fetischisierung 
    und Erotisierung keine Rechte Dritter verletzt.
    
    Die 
    überzeugten Rechtsextremen sollten nicht mit Verbot und Zensur, sondern 
    mit inhaltlicher Auseinandersetzung bedacht werden. Nationale Feministinnen 
    und homosexuelle Nazi-Kader zeigen, dass die Rechtsextremen bereits dabei 
    scheitern, ihre Ideologie in den eigenen Reihen umzusetzen.
    
    Bei den 
    Gewaltbereiten muss es bei Polizei und Justiz heißen: Null Toleranz! 
    Hassverbrechen sollen bis zum Beweis des Gegenteils als Mordversuch bzw. 
    Mord strafrechtlich verfolgt werden, da Hass auf Andersartigkeit ein 
    niedriger Beweggrund darstellt.
    
    Literatur
    
    Bitzan, Renate und Beate Hans: Gender Killer 
    – Von rechten Kämpferinnen und braven Biederfrauen – Frauen und 
    Rechtsextremismus – Ein Überblick, Berlin-Amsterdam 1994, <http://www.nadir.org/nadir/archiv/Feminismus/GenderKiller/gender_9.html> 
    13.05.2010
    
    Bitzan, Renate: Frauen im Rechtsextremismus 
    in Theorie und Praxis, Impulsreferat auf der Tagung “Brave Mädels und echte 
    Kerle? Theorie und Praxis von Geschlechterrollen im Rechtsextremismus, 
    Berlin, 23.01.2008, <http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf/080123_bitzan.pdf> 
    13.05.2010
    
    Hartmann, Thomas: Der Homosexuellenstreit 
    unter den deutschen Neonazis, Bremen 1996 <http://www.joerg-hutter.de/schwule_nazis.htm> 
    13.05.2010
    
    
    Herek, Gregory M. und Kevin T. Berill: Hate Crimes – Confronting Violence 
    against Lesbians and Gay Man, Sage Publications, London/New Delhi 1992
    
    Kirch, Eugen: Schwulenmagazin Magnus im 
    Visier der Neonazis, taz Hamburg vom 18.06.1994
    
    Köttig, Michaela: Lebensgeschichten 
    rechtsextrem orientierter Mädchen und junger Frauen, Gießen 2004
    
    Kühnen, Michael: Homosexualität und 
    Nationalsozialismus, hg. v. Michel Caignet im Eigendruck, Paris
    
    1986
    
    MUT-Redaktion, 
    Chronik rechtsextremer und rassistischer Gewalt 2007 bis 2009, 
    Amadeu Antonio 
    Stiftung, <http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/gewaltchronik-2007-8.print.html> 
    13.10.2010
    
    MUT-Redaktion, 
    News/Meldungen, 
    Amadeu Antonio 
    Stiftung, < 
    
    
    
    http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/meldungen/> 13.10.2010
    
    Röpke, Andrea: Braune Parallelwelt – Ein 
    Hintergrundbericht zur HDJ, in Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin 
    17.06.2008, <http://www.bpb.de/themen/VCZMSU,0,Braune_Parallelwelt.html> 
    13.05.2010
    
    Sofsky, Wolfgang: Die Ordnung des Terrors: 
    Das Konzentrationslager, Frankfurt/M. 1997
    
    Wolschner, Klaus: Michael Kühnen: In 
    Männerbunden sexuell betätigen, taz Bericht vom 13.10.1986
    
     Biografie Dr. Jörg Hutter
    
    Geb. 17.06.1958 in Düsseldorf, 1979 – 1982 
    Studium der Soziologie an der Universität Mannheim, von 1982 – 1985 an der 
    Universität Bremen mit Diplom als Abschluss, 1994 Promotion an der 
    Universität Bremen zum Dr. rer. pol., 1985 – 1995 Lehrbeauftragter und 
    wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen, 1995 – 1999 
    Entwicklung und Aufbau der wissenschaftlichen Forschungs- und Lehreinheit 
    „Schwul-lesbische Studien“, seit 2000 tätig als Projektleiter und 
    Sozialmanager bei dem Bildungsdienstleister Jugendbildung Hamburg gGmbH, ab 
    2008 in der Geschäftsleitung von Jugendbildung Hamburg.
    
                                                                                                                                                          
                                                                                                                                                          Themenverwandter Link (Subject related links)
                                                                                                                                                          
              
              
              
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