Erinnerung an das Schicksal der Rosa-Winkel-Häftlinge am Beispiel des
Bremers Erinnerungen an das Schicksal der Rosa-Winkel-Häftlinge am Beispiel von Wilhelm Steeneck Über das Schicksal der Rosa-Winkel Häftlinge aus Bremen ist bis heute wenig bekannt. Dies liegt nicht nur in dem Umstand begründet, dass männliche Homosexuelle sowie Lesben, die als sogenannte ‚Asoziale’ in Konzentrationslagern interniert wurden, in den Lagern sozial isoliert waren und sie ihre Herkunftsfamilien - aus Scham, Ablehnung oder weil sie ebenfalls Ausgrenzung befürchteten – später gerne vergessen oder verschwiegen haben. Die weitgehende Unbekanntheit von Einzelschicksalen ist auch eine Folge von politischer und wissenschaftlicher Ignoranz. Nachdem die individuelle Entschädigung oder ‚Wiedergutmachung’ der wenigen Überlebenden bereits gescheitert ist, droht nun auch das Scheitern der geschichtlichen Aufarbeitung. Da bis heute keine Stiftung zur Aufarbeitung des an Schwulen und Lesben verübten Unrechts existiert und von Seiten der Politik keine entsprechende Initiative in naher Zukunft zu erwarten ist, werden sich auch Wissenschaftler dieses Themas nicht annehmen. Dies ist in meinen Augen ein Skandal, auf den hinzuweisen jeder Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar verpflichtet. Umso erfreulicher ist es, dass die Neffen eines Bremer Rosa-Winkel-Häftlings, nämlich die von Wilhelm Steeneck, die eigene Familienchronik reflektiert und persönlich Auskunft gegeben haben. Ergänzt werden müsste dieses Bild durch ein Aktenstudium im Staatsarchiv Bremen. Da alle Beteiligten jedoch nicht als hauptberufliche Historiker arbeiten und bezahlt werden, ist dies bis heute nicht erfolgt. Insofern ist diese Rekonstruktion lückenhaft und unvollständig. Mir selbst ist bekannt, dass im Bremer Staatsarchiv noch viele Akten über die damalige Strafverfolgung vorliegen und sich darunter auch etliche Verfahren nach dem damaligen Homosexuellenparagrafen, dem § 175 befinden. Zukünftigen Recherchen wird es vorbehalten bleiben, das Verfolgungsschicksal von Wilhelm Steeneck zu komplettieren. Zu fragen ist heute: Wer war Wilhelm Steeneck? Was war er für ein Mensch, welches Schicksal verbirgt sich hinter diesem Namen? Die Biografie des Wilhelm Steeneck [zurück zum Inhalt] [zurück zum Beginn] Wilhelm Steeneck wird am 18. Juni 1899 in Wesermünde als Sohn des Bäckermeisters Wilhelm August Steeneck und der Amalie Steeneck, geborene Köster, geboren. Die Familie besitzt ein Haus in Bremen-Walle in der Nordstraße 357, Ecke Bremervördener Straße 43. Dort betreiben sie eine Bäckerei und Konditorei. Hier wächst der Sohn Wilhelm mit seiner Schwester Lotte auf und lernt das Bäckerhandwerk bei der Firma Knigge in der Sögestraße. Wilhelm Steeneck ist beruflich erfolgreich und arbeitet zunächst im Familienbetrieb. In seiner Freizeit paddelt er gerne mit Freunden durch Bremer Kanäle und die Wümme. Sein Kanu bzw. Kanadier ist im heute noch existenten Bootshaus Bolte in Kuhsiel stationiert. Wahrscheinlich hat Wilhelm Steeneck hier seine Freunde kennen gelernt, mit denen er sexuell verkehrte. Mit seinem Vater hat er hierüber häufig gestritten. Offensichtlich hat dieser seine mann-männlichen Sexualkontakte mißbilligt. Im Juli 1929 verunglückt der Vater tödlich bei einem tragischen Verkehrsunfall. Kurze Zeit später, Anfang der 1930er Jahre, verurteilt ein Bremer Gericht Wilhelm Steeneck erstmals wegen „widernatürlicher Unzucht“. Nach Verbüßung der Haftstrafe ist der Familienfrieden empfindlich gestört. Das Geschäft läuft schlecht, da viele Kunden den Betrieb aufgrund der ‚anrüchigen’ Vorstrafe von Wilhelm Steeneck meiden. In ihrer Not verpachtet die Mutter zunächst die Bäckerei. Aufgrund säumiger Mietzahlungen verkauft sie schließlich 1938 das gesamte Haus. Die Familie zieht in die Laubenstraße 2, eine heute nicht mehr existente Straße in der Nähe von Hansa- und Utbremer Straße.
Wilhelm Steeneck: Das Bild des Partners ist entfernt worden Wilhelm Steeneck findet zunächst Arbeit in dem Teehandelsbetrieb Schilling auf dem Teerhof. Danach arbeitet er in der Restauration auf Überseepassagierschiffen. Deshalb besitzt er einen Reisepass, der heute noch existiert.
Der Reisepass von
Wilhelm Steeneck: Eine männliche Person ist nur mit Ehefrau denkbar, Die Nationalsozialisten verschärfen den Homosexuellenparagrafen 175 [zurück zum Inhalt] [zurück zum Beginn] Zwischenzeitlich haben die Nationalsozialisten am 28. Juni 1935 den Homosexuellenparagraf 175 deutlich verschärft. Insbesondere wird jetzt die bis dato straflose wechselseitige Onanie kriminalisiert. Zudem sind alle rechtsstaatlichen Hindernisse beseitigt, die eine Sachverhaltsfeststellung vor Gericht erschwert hätten, indem das gesetzliche Bestimmtheitsgebot abschafft ist. Mit rassistischen Argumenten, die den politischen Charakter dieser Rechtsetzung unterstreicht, haben die Nationalsozialisten die Neufassung des § 175 RStGB begründet. So heißt es in den Motiven zur Gesetzgebung: „Angesichts des Strebens nach einem starken, sittlich gesunden Volk ist es erforderlich, allem ‚widernatürlichen Treiben’ mit Nachdruck zu begegnen.“ Demnach sollen nicht nur penetrierende, sondern auch onanierende Handlungen bestraft werden können. Die Nationalsozialisten haben die Gesetzesverschärfung damit begründet, dass die neue Fassung des § 175 "jede Art gleichgeschlechtlicher Unzucht zwischen Männern" treffen will. „Die neue, erweiterte Strafvorschrift wird eine energischere Bekämpfung der gleichgeschlechtlichen Unzucht unter Männern ermöglichen, da sie die bisherigen Beweisschwierigkeiten beseitigt.“ Die Strafrechtsnovellen vom 28. Juni 1935 annulieren zudem das gesetzliche Bestimmtheitsgebot, nach dem eine Handlung nur dann mit Strafe belegt werden kann, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Nun kann bestraft werden, "wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes oder nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient.“ Damit ist das vormals in Paragraf 2 des Reichsstrafgesetzbuches verankerte demokratische Rechtsprinzip, keine Strafe ohne Gesetz, geradezu in sein Gegenteil verkehrt (Die Strafrechtsnovellen vom 28. Juni 1935 und die amtlichen Begründungen zu diesen Gesetzen. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches“, §§ 2 und 175, 175 a, Berlin 1935, Decker’s Verlag, S. 8-38f.). Die zweite Verurteilung Wilhelm Steenecks kommt einem Todesurteil gleich Wilhelm Steeneck wird nach diesem verschärften Gesetz Ende der 1930er Jahre ein zweites Mal wegen „widernatürlicher Unzucht“ verurteilt. Die Strafe verbüßt er im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen. Aufgrund der Haftbedingungen ist er schon dort unterernährt und gesundheitlich angeschlagen. Seine Schwester Lotte besucht ihn einmal, doch aus Scham bittet er darum, von weiteren Familienbesuchen abzusehen. Die Haftstrafe endet im März 1943. Seit 1940 verschärft jedoch die Polizei die Justizurteile, da nach einer Anweisung des Reichsführers der SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler vom 12. Juli 1940 die Kriminalpolizei „alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung in Vorbeugungshaft zu nehmen“ hat. Polizeiliche Vorbeugungshaft kommt der Schutzhaft der Geheimen Staatspolizei gleich und heißt: Einweisung in ein Konzentrationslager (Vgl. Jellonnek, Burkhard: Homosexuelle unterm Hakenkreuz, Paderborn 1990, S. 139, sowie Terhorst, Karl-Leo: Polizeiliche planmäßige Überwachung und polizeiliche Vorbeugungshaft im Dritten Reich, Heidelberg 1985, S. 136 und Wagner, Heinz: Die Polizei im Faschismus, Frankfurt/M. 1984, S. 167.). Die kriminalpolizeilichen Täter sind bis heute unbekannt [zurück zum Inhalt] [zurück zum Beginn] Bislang ist leider nicht bekannt, welche Kriminalräte in Bremen derartige Deportationsverfügungen ausgefertigt haben. In Bremerhaven nennt sich der Täter Kriminalrat Hirschberg. Dieser hat den Transport des Bremerhavener [Karl Gorath in ein Konzentrationslager] zu verantworten. Den Polizeibeamten muss dabei klar gewesen sein, dass ihre Anweisungen einem Todesurteil gleich kamen, denn die meisten Deportierten überlebten den KZ-Aufenthalt nicht. Patrick Wagner stellt in seinem Buch „Hitlers Kriminalisten“ fest, dass die Kommandantur der jeweiligen Konzentrationslager die jeweils zuständigen Kriminalpolizeileitstellen über den Tod der von ihnen eingewiesenen Häftlinge regelmäßig unterrichtet hat (Wagner, Patrick: Hitlers Kriminalisten – Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus, Verlag C.H. Beck, München 2002, S. 215). Somit bedeutet die Strafverbüßung auch für Wilhelm Steeneck nicht Haftentlassung, sondern Deportation in ein Konzentrationslager. Die Polizei verschleppt ihn am 6. März 1943 in das nahe Hamburg gelegene Konzentrationslager Neuengamme. Dort verstirbt er bereits nach nur 45 Tagen im Alter von 43 Jahren. Die Todesliste vom 20. April führt als Todesursache „cardiale Insuffizienz“ auf. Es ist heute wohl nur schwer vorstellbar, was Wilhelm Steeneck in diesen 45 Tagen KZ-Haft hat erleiden müssen. Die Formulierung ‚Herzversagen’ verschleiert hierbei den wahrscheinlichen Hergang des Geschehens: einen grausamen Foltertod.
Penibel genau und vermeintlich korrekt listet
die Lagerverwaltung des KZ Neuengamme Bremer Stolperstein für Wilhelm Steeneck Immerhin ist heute sichergestellt, dass ein Bremer Stolperstein an das Schicksal von Wilhelm Steeneck erinnert. Er ist vor dem Haus gepflastert, in das Wilhelm Steenecks Schwester Lotte nach dem Tod der Mutter, die im Januar 1939 verstirbt, eingezogen ist: es handelt sich um die Oslebshauser Heerstraße 71a. Der Initiatorin dieses Projektes, Barbara Johr, sei abschließend gedankt für ihr Engagement, auch ein homosexuelles KZ-Opfer in dieser Weise gewürdigt zu haben. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bitte darum, dass wir heute, am Jahrestag der Befreiung des KZ-Auschwitz, in einer Schweigeminute Wilhelm Steeneck und all der anderen schwulen und lesbischen NS-Opfer gedenken. Jörg Hutter [zurück zum Inhalt] [zurück zum Beginn] [Die iranischen Opfer des religiösen Faschismus von heute] [The Persian Victims of the Religious Fascism of Today] Themenverwandte Links zu Seiten hier in diesem Web
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