zehenspitzenschwul

Du bist hier: Willkommen DreieckWissenschaft DreieckAids DreieckAusgrenzung macht krank Dreieck zehenspitzenschwul
 

Typus C: zehenspitzenschwul
(Die verwendeten Namen sind natürlich Pseudonyme)

Zurück zum Inhaltsverzeichnis des Buches

Identitätskonzept

Den nächsten Typus haben wir Zehenspitzenschwule genannt. Der Zehenspitzenschwule verdankt seinen Namen seinem ausgeprägten Verheimlichungs- und Kontrollbedürfnis, das darauf abzielt, seine sozialen Arrangements in seinem heterosexuellen Milieu unter keinen Umständen zu gefährden. Dabei wird das eigene Sexualleben sublimiert, indem andere Lebensbereiche, wie etwa die berufliche Karriere oder das harmonische Verhältnis zu den eigenen Eltern, die Biografie grundieren und Lebenszufriedenheit herstellen. Sexualität jedenfalls spielt unter den identitätsrelevanten Aspekten des alltäglichen Lebens keine prominente Rolle:

Theo, 56 J., Publizist: Ich wollte eine berufliche Karriere machen, hatte noch nachstudiert und bin dann schnell in eine gute Position gekommen, und das Sexuelle wäre dann sehr gefährlich gewesen.

Hartmut, 38 J., Pfarrer: Nach Süddeutschland zu meinem Freund wollte ich nicht ziehen. Den Absprung habe ich nicht geschafft. Zum einen bin ich ein eingefleischter Norddeutscher, zum anderen auch ein sehr ängstlicher Typ, der sehr auf Sicherheiten bedacht ist. Meinen Beruf nämlich konnte ich da unten nicht ausüben, da hatte ich schon mit dem zuständigen Arbeitgeber drüber gesprochen. Der hat abgeblockt.

(...)

Sexualität und Partnerschaft

Zurück zum Inhaltsverzeichnis des Buches

Die starken Kontrollambitionen des Zehenspitzenschwulen sowie sein Anspruch, einen nach außen völlig normal wirkenden Partner kennen zu lernen, stellen die Männer bei der Partnersuche vor ein handfestes Dilemma. Denn wie sollen sie ihresgleichen erkennen, wenn ihren potenziellen Partnern alle Attribute einer homosexuellen Rolle fehlen und wenn sie darüber hinaus auch die Orte der schwulen Subkultur meiden. Der Zehenspitzenschwule reagiert auf das Dilemma der wechselseitigen Unsichtbarkeit mit dem Schalten von Kontakt­anzeigen, und zwar eher in den örtlichen Stadtmagazinen und weniger in den einschlägigen Zeitschriften der Homosexuellenszene. Die Kontaktanzeige dient ihm als geeignetes Medium des Kennenlernens, da sie ihm größtmögliche Kontrolle einräumt. Der Anzeigentext »Tunten und Szenetypen zwecklos« wirkt dabei äußerst indikativ, da sich nur solche Männer melden sollen, denen keinerlei schwule Attribute sichtbar anhaften. Die verschiedenen Prüfebenen wirken dabei wie ein Filter, der die ungeeigneten Kandidaten aus der Masse der Bewerber peu à peu aussortiert:

Helmut, 42 J., Angestellter: Seit meinem Coming-out habe ich immer mal wieder Anzeigen aufgegeben, so im Oxmox, also dem Hamburger Stadtmagazin. Dadurch habe ich ganz nette Leute kennen gelernt, mit denen ich noch heute in Verbindung stehe.

Arndt, 27 J., Postangestellter: Seit fünf Jahren gebe ich regelmäßig Kon­taktanzeigen auf und antworte auch drauf. Wenn dann einer auf meine Zuschrift hin anruft und sagt: ‚Du, ich habe deinen Brief gekriegt, wollen wir uns treffen?‘, dann wäre mir das viel zu wenig, weil ich von der Person gar nichts weiß. Ein Gespräch von einer Viertelstunde am Telefon würde mir dann schon reichen. Also, ein bisschen erfahren muss ich schon über ihn, bevor ich mich mit ihm treffe. Dann kommt’s natürlich auf das Äußere an, ob der nun irgendwie ansehnlich aussieht, eben auch auf die Sauberkeit und die ganze Erscheinung.

Hans, 33 J., Taxifahrer: Ich sehe in Kontaktanzeigen, damals im Kursbuch, heute im Prinz, meine einzige Möglichkeit, jemanden kennen zu lernen. Bei diesen Kontaktanzeigen versuche ich wirklich so einen gewissen Filter vorzuschieben, indem ich beschreibe, wer ich bin und was ich erwarte.

Die Kontaktanzeige kann darüber hinaus durch zusätzliche Kontrollmechanismen sicherstellen, dass es zu keinen kompromittierenden Situationen kommt. Denn der Zehenspitzenschwule ist sich sehr im Klaren darüber, dass gerade die sexuellen Kontakte zu anderen Männern ihn als Homosexuellen entlarven könnten. Somit stehen insbesondere die potenziellen Sexualpartner unter Verdacht, da im Ernstfall sie es sind, die den Zehenspitzenschwulen bloßstellen könnten:

Hartmut, 38 J., Pfarrer: Wenn ich Annoncen aufgebe, brauche ich eine Kontaktadresse. Sonst ist mir das zu heiß. Ich habe da dann eine Vertrauensperson, der sag’ ich dann, unter dem Namen kommt Post zu dir und die ist dann für mich. Ich verschicke zudem auch keine Fotos und gebe meine Telefonnummer nicht an. Denn ich melde mich immer mit vollem Titel. Deshalb sollen die erstmal ihre Telefonnummer angeben, und dann melde ich mich.

(...)

Zurück zum Inhaltsverzeichnis des Buches

Home Startseite www.joerg-hutter.de