verletzt

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Typus E: verletzt
(Die verwendeten Namen sind natürlich Pseudonyme)

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Identitätskonzept

Schließlich ist der Verletzte zu nennen, bei dessen Namen wir auf das Suffix ‚Schwuler‘ ganz bewusst verzichtet haben. Diese Männer beeindrucken nämlich dadurch, dass die eigenen homosexuellen Erfahrungen ihr Selbstbild gerade nicht wesentlich mitprägen konnten. Stattdessen dominieren massive Ausgrenzungserlebnisse anderer Art die Identitätsbildung (gewalttätiger Vater, Alkoholmissbrauch und Suiziderfahrungen in der Familie, brutale Heimerfahrungen etc.), sodass sich diese Männer vor allem als Außenseiter und nicht ‚nur‘ als Homosexuelle begreifen:

Toni, 48 J., Chemiefacharbeiter: Ja, der geborene Schwule bin ich nie gewesen. (...) Es ist bei mir alles etwas anders als bei den Leuten, die aus Passion schwul geworden sind. (...) Ich bin der Überzeugung, dass dann, wenn ich ein vernünftiges Elternhaus gehabt hätte und Liebe von beiden Elternteilen bekommen hätte, dass ich sehr gut heterosexuell gewesen wäre.

William, 31 J., Schauspieler: Wir waren eh schon immer anders. Also, das Anderssein war ein Bestandteil unserer ganzen Familie. Einer meiner Brüder, der ist auch anders. Also der ist Junkie. (...) Ich war immer der absolute Außenseiter, und zwar nicht im positiven, sondern im negativen Sinn. Ich war ’n kleines, dickes Kind und sah japanisch aus, sodass man mich für’n Südeuropäer halten konnte. Ich bin sehr gehänselt und geschlagen worden, so grausam, wie Kinder halt untereinander sein können.

(...)

Intime Handlungsorientierungen

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Beim Verletzten ist der Wunsch nach emotionaler Nähe und personaler Bin­dung besonders stark ausgeprägt. In einer Männerbeziehung möchte er all das verwirklichen, was ihm im Elternhaus versagt geblieben ist: Dort sollen seine unsicheren Lebensverhältnisse in sichere überführt werden, dort erhofft er sich die nötige Handlungs- und Erwartungssicherheit, die ihm seine Eltern vorent­halten haben. Hinter dem überstarken Harmoniebedürfnis verblasst das Begehren nach sexueller Befriedigung:

Rudolf, 23 J., Arbeiter: Ich bin immer ein sehr anhänglicher Mensch gewesen, der immer viel Liebe und Geborgenheit brauchte. (...) Sex war für mich Ausdruck der Liebe. Es war eine Ersatzbefriedigung. Also, wenn ich Sex machte, dann habe ich mich vollkommen hingegeben, immer in der Hoffnung, ich könnte den Typen ganz kriegen.

Norbert, 40 J., Bürokaufmann: Ich war unterwegs, weil ich das Alleinleben satt hatte. Ich bin kein Typ für’s Alleinleben. Ich brauche die Nähe zu jemandem. Was ich bei meiner Suche allerdings nicht gekriegt habe und was mich so verletzt hat, das war die Wärme.

Christian, 34 J., EDV-Berater: Ich finde es entsetzlich, wenn man da ir­gendwie im Bett rumgemacht hat und die Leute springen dann aus dem Bett und das war’s. Das finde ich fürchterlich, weil es für mich viel wichtiger ist, nachher zusammenzuliegen und zu schmusen. Das Hinterher ist sogar viel wichtiger als der Sex, weil im Prinzip - denk ich mal - fehlt uns das allen irgendwo, das Liebsein. (...) Wenn die Leute dann am nächsten Tag gegangen sind, habe ich immer fürchterlich drunter gelitten.

Toni, 48 J., Chemiefacharbeiter: Die Dinge, die ich eigentlich gesucht habe und die mir auch gefehlt haben, war ein bisschen Zuwendung und Zuneigung. Ich habe dann nachher immer gemerkt, dass die Leute eigentlich nur massiven Sex wollen.

(...)

Sexualität und Partnerschaft

Obwohl der Verletzte personale Bindungen anstrebt, scheitert er bei seinen Bemühungen schon in Kennenlern-Situationen; denn er dehnt seine Suche unterschiedslos auf alle Orte der homosexuellen Subkultur aus und erkennt nicht, dass die dort vorherrschenden Rituale und Kommunikationsformen zumeist einzig der sexuellen Bedürfnisbefriedigung dienen:

Norbert, 40 J., Bürokaufmann: Ich suchte einen Freund. Ich suchte den überall, im Park, in der Sauna, in Diskotheken und auf der Klappe.

Axel, 24 J., Koch: Ich bin oft nach Sonthofen auf die Klappe gefahren, weil es keine andere Möglichkeit gab. Aber zu dem Zeitpunkt war die Hoffnung, dass es dabei zu ‘ner Beziehung kommt, ziemlich zerschlagen. Alles, was ich versucht hatte, ist total in die Hose gegangen. (...) Je mehr Klappenkontakte da waren, desto größer war eigentlich der Frust, weil ich eben immer auch auf ’ne Beziehung gehofft habe. (...) Ich hab’ dann auf ‘ne Anzeige geantwortet, eben Gruppensex. Und ich hab’ dabei gedacht, vielleicht lernst du da ja einen aus der Gruppe intensiver kennen, schon in der Hoffnung, dass sich daraus eine Beziehung entwickelt. Ich bekam dann einen recht guten Kontakt zu demjenigen, der das organisierte. Der hat mir aber bald klargemacht, daß er keine Bezie­hung sucht.

Jörg, 31 J., Verwaltungsangestellter: Ich bin mit diesem anonymen Sex auf der Klappe nicht klar gekommen, denn Sex war für mich immer et­was, was mit Gefühlen zu tun hat. (...) Im Grund genommen wollte ich meinem neuen Freund beweisen, dass ich dazu auch in der Lage war. Ich wollte es einfach auch wissen, wie das da abläuft.

Selten sucht der Verletzte hingegen die Begegnung an den Treffpunkten der homosexuellen Selbstorganisation. Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass ihm die selbstdarstellenden Umgangsformen mit ihrer Betonung auf schwuler Identität, wie sie für den Kopf- oder Herzschwulen kennzeichnend sind, fremd bleiben. Der Verletzte bringt seine Homosexualität weniger mit einer sozialen Lebensform in Verbindung. Folglich ist er an einem kommunikativen Austausch mit Gleichgesinnten kaum interessiert. Fern jeder Identitätssuche im sexuellen Bereich verbindet er Homosexualität ausschließlich mit seinem Bedürfnis nach emotionaler Geborgenheit.

Der Weg in die Beziehung beginnt beim Verletzten damit, dass er fast jeden intimen Kontakt als Liebes- und Nähebeweis interpretiert. So sehr er sich eine dauerhafte personale Bindung wünscht, so häufig lässt er sich in den Kennenlern-Situationen zum Sex hin abschleppen. Sexualität wird so ungewollt zum Aufbau einer personalen Bindung instrumentalisiert wie in folgendem Beispiel:

Rudolf, 23 J., Arbeiter: Ich war auf einem seelischen Tiefpunkt. Ich suchte praktisch die Liebe, und damit begann meine Laufbahn in dieser Schwulenszene. Ich habe praktisch alles, was man überhaupt vor die Flinte kriegen kann, weggevögelt, weil ich eben wieder ’n Freund suchte.

Die Partnerschaften zeichnen sich durch ihre asymmetrische Struktur aus, die sich in den gegensätzlichen Erwartungen der Beteiligten manifestiert. Sehr häufig fügt sich der Verletzte fast bedingungslos den Ansprüchen seines Partners. Er lässt sich seinem Freund zuliebe auf unerwünschte Sexualpraktiken ein, akzeptiert Gruppensex, obwohl ihn dies eher frustriert, oder nimmt sexuelle Fremdkontakte seines Partners in Kauf, obwohl er daran verzweifelt:

Norbert, 40 J., Bürokaufmann: Die ganze Beziehung war merkwürdig. Wenn er sich ein bisschen auf mich eingestellt hätte, wäre die Beziehung nicht kaputt gegangen. Ich habe versucht, mich auf ihn einzustellen. Ich bin auch bereit, Kompromisse zu schließen. Er war dazu nicht in der Lage. Er hatte dieses Nachholbedürfnis und hat in dieser Hinsicht auch einfach eine Sturheit entwickelt.

Jörg, 31 J., Verwaltungsangestellter: Mit der Zeit bekam ich mit, dass er ein absoluter Klappengänger ist und davon auch nicht wegkam. Ich hatte eigentlich nur die Möglichkeit, mich zu trennen oder es zu akzeptieren. Da ich ihn nicht verlieren wollte, hab’ ich’s ihm zugestanden. (...) Wir haben uns dann auseinander gelebt, und heute ist die Situation so, dass wir in einer Wohnung zusammenleben, jeder aber seine Wege geht. Er hat zwischenzeitlich eine neue Beziehung gehabt mit jemanden, den ich auch kannte und der bei uns ein- und ausging. Für mich gab es dann wieder nur die Möglichkeit, mit ihm Schluss zu machen oder damit klar zu kommen. (...) Manchmal merke ich schon, dass ich mit der Situation überfordert bin, dass ich zwar tun kann, was ich will, aber trotzdem meine Freiheit nicht habe.

Tim, 27 J., Krankenpfleger: Mein Ex hat mal auf ‘ner Geburtstagsfete mit jemandem rumgeknutscht. Ich war wie gelähmt und wusste nicht, was ich machen sollte. (...) Ich war fertig, ich war total fertig, Der hat mir so viel Schmerzen bereitet, mein Freund, dass ich nachts nach Hause gegangen bin und mir Tabletten eingeschmissen hab’.

(...)

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