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Vorwort

Jan Philipp Albrecht spricht in seinem Vorwort zu dieser Broschüre von Gruppierungen, sogar Parteien und Abgeordneten, die zur Hatz gegen Jüdinnen und Juden, MigrantInnen, Behinderte, Obdachlose und Homosexuelle aufrufen. Ich habe in meinem Beitrag explizit auch die Punkerinnen und Punker erwähnt, die ebenso zum Feindbild der rechtextremen Anschauungen und genauso wie die genannten Gruppen zu den Opfern rechtextremer Gewalt zählen. Damit sie nicht zu den vergessenen Gruppen rechtsextremer Gewalt zählen, habe ich eine Passagen, die der Herausgeber bei der Redaktion meines Artikels gekürzt hat und die Gewalt gegen Punks betrifft, in dieser Online-Version in voller Länge wiedergegeben.

Schwule Nazis und weibliche Nazi-Kader - Ideologie und Wirklichkeiten, in: Strategien gegen Rechtsextremismus (Hrsg. Jan Philipp Albrecht, MdEP), Berlin 2012, S. 47-58

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Auf den ersten Blick scheinen Einstellungen zu Geschlecht und Sexualität nicht zu den Kernbeständen rechtsextremer Ideologie zu gehören, die sich im Wesentlichen um „Volksgemeinschaft“, „Rasse“ und „Nation“ dreht. Doch wenn bei Nazi-Kadern die persönliche Lebensweise von einer national geprägten weiblichen Geschlechtsrolle oder der männlichen heterosexuellen Identität abweichen, irritiert dies in erster Linie die Rechtsextremen selbst. Denn diese Abweichungen verdeutlichen die Brüchigkeit der rechtsextremen Ideologie, die von einem völlig gleichförmigen Sozialgefüge träumt und doch schon in den eigenen Reihen an dem selbst gesetzten Anspruch scheitert. Dessen ungeachtet zählen Schwule und Lesben sowie linke Frauen zu den Opfern von Hassverbrechen, da sie wie Fremde, Menschen mit dunkler Hautfarbe, Menschen mit Handikaps, Obdachlose, Punks oder politisch Andersdenkende zu den Hauptfeindgruppen der Rechtsextremen zählen.

Idealtypisch lassen sich drei Gruppen von Frauen und Männern unterscheiden und entsprechend gesellschaftlich bewerten:

1.   Die Fetischisten bzw. Fetischistinnen, die Naziembleme, Schaftstiefel und Uniformen der SS, SA und/oder Wehrmacht nutzen, indem sie diese etwa in sadomasochistischen sexuellen Handlungen erotisch besetzen,

2.   Die überzeugten Rechtsextremen, die versuchen, ihr Homosexuell-Sein bzw. feministische Überzeugungen in die rechtsextreme Ideologie zu integrieren,

3.   Die Gewaltbereiten, die aus Hass gegen Menschen vorgehen, weil diese in irgendeiner Form anders sind.

Zu den Fetischisten

Nationalsozialistische Symbole zu erotisieren und zu sexualisieren, mag manchen abstoßen – sicherlich auch die Rechtsextremen selbst. Lebbar ist diese Form der Sexualität losgelöst von rechtsextremer Überzeugung, da Menschen nun einmal in der Lage sind, in ihrer Fantasie nahezu alles zu fetischisieren bzw. zu erotisieren.

Artikel Schwule Nazis und weibliche Nazi-Kader01Zu den überzeugten Rechtsextremen

Bei den überzeugten rechtsextremen Frauen denkt man zunächst, dass rechtsextreme Einstellungen mit einem traditionellen weiblichen Rollenverständnis und der Betonung der Mutterschaft korrespondieren müssen. Die „Gemeinschaft Deutscher Frauen“ (GDF) formuliert tatsächlich mit völkischen Argumenten und mutterschaftsfixiert: „Ihr wollt dienen, euch der Gemeinschaft nützlich machen und damit unserem geliebten deutschen Volk (ob es noch schläft oder nicht) helfen? (…) Die, die gekommen sind, um zu dienen – in Ehrfurcht vor dem heiligen Ziel – diese Frauen ruft Deutschland, ruft die kommende Generation – ruft die Gemeinschaft Deutscher Frauen. (…) Wir ermuntern Frauen nicht nur zur politischen Betätigung, sondern auch dazu, ihrer Bestimmung zu folgen und Mutter zu werden. Wir behaupten, dass die wenigsten Frauen glücklich werden können, wenn sie das Mutterglück nicht kennen gelernt haben“ (zitiert nach Renate Bitzan 2008). Ähnlich strikt nach Geschlechtern getrennt hat die 2009 verbotene Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) ihre Zeltlager organisiert. Die Jungen trugen uniformähnliche dunkle Jacken, Grauhemden und schwarze Zunfthosen, die Mädchen dunkle Röcke und weiße Blusen (Andrea Röpke 2008).

Eine deutliche Verschiebung der Argumentationsschwerpunktes findet sich hingegen bei dem „Mädelring Thüringen“ (MRT): „Die Frau von heute ist nicht nur Hüterin der Familie und des Heims, sondern auch gleichwertige Mitgestalterin des öffentlichen Lebens, das alle Lebensbereiche und Berufsfelder gleichermaßen beinhaltet (…) Wir wollen natürlich nicht den Fehler machen, ein Frauenbild zu schaffen, das sich von seiner naturgegebenen Aufgabe –  dem Mutterdasein loslöst. Aber im Gegenzug wollen wir eine übertriebene Stilisierung der Mutterrolle vermeiden. (…) ist die Zeit gekommen, (…) eine Alternative anzubieten und diese stellt der Nationale Feminismus dar. (…) Nationaler Feminismus voran!“ (zitiert nach Renate Bitzan 2008).

Artikel Schwule Nazis und weibliche Nazi-Kader01In der Publikation der neurechten Theoretikerin Sigrid Hunke wendet sich diese gegen die Geschlechterhierarchie und gegen geschlechtliche Arbeitsteilung. Vielmehr vertritt sie die These von der Gleichgestelltheit von Mann und Frau bei den Germanen/innen. Kulturrelativistisch reserviert sie das Gleichheitsmodell nur für die nordischen Menschen und grenzt andere Kulturen aus ihrer Zukunftsvision bewusst aus (Renate Bitzan und Beate Hans, Berlin-Amsterdam 1994). Die Sozialwissenschaftlerinnen Bitzan und Hans stellen nach der Analyse von Artikeln über rechtsextreme Frauen in Brigitte, Spiegel und Bild der Frau sowie zwei Fernsehbeiträgen in VOX und Sat 1 fest: Es existieren eine Vielfalt von Positionen und Meinungen beim Thema Familie und Beruf, erst recht aber in der Abtreibungsfrage. Beim Thema „Eigener Nachwuchs“ etwa setzt sich eine Vertreterin der Wiking-Jugend (WJ) für die Arterhaltung ein, was für sie bedeute, mehrere Kinder in die Welt zu setzen. Ursula Worch von der Nationalen Liste (NL) vertritt hingegen den Standpunkt, dass es ja schon genügend Kinder gebe und Frau nicht unbedingt selber welche bekommen müsse (Renate Bitzan und Beate Hans, Berlin-Amsterdam 1994).

Die Abtreibungsfrage versetzt das rechte Lager erst recht in Aufruhr: Die in den Interviews vertretenen Positionen reichen von „Das sollte jede Frau für sich entscheiden“ über die strikte Ablehnung jeder Abtreibung bis hin zu der rechtsextremen Auffassung, gesunde deutsche Frauen dürften grundsätzlich nicht abtreiben, ausgenommen, es werde eine Behinderung festgestellt (Renate Bitzan und Beate Hans, Berlin-Amsterdam 1994).

Die Meinungen gehen dann beim Thema Homosexualität völlig auseinander und haben schon öfters zum Streit in der Neonazi-Szene geführt. Michael Kühnen etwa, bis zu seinem Aids-Tod 1991 einer der bekanntesten und wich­tigsten Exponenten des militanten Rechtsextremismus und Sprecher der Organisationsleitung der „Aktionsfront Nationaler Sozialis­ten/Nationale Aktivisten (ANS/NA)“ konnte einen Fememord an einem Mitstreiter 1981 nicht verhindern. In einem Flugblatt haben ANS-Kader Anfang der 1980er Jahre zunächst die Rechtsextremen Johannes Bügner und Philipp Schönmann als „Homos“ denunziert und Bügner später ermordet. Den Mordauftrag gab Kühnens Stellvertreter Michael Frühauf (Thomas Hartmann 1996, Eugen Kirch 1994).

1986 kommt es erneut zum Streit und zur Spaltung. Jürgen Mosler, Konkurrent des bis dato unangefochtenen Neonazi-Führer Kühnen startet eine Hetzkampagne gegen Homosexuelle. „Schwule sind Verräter am Volk und damit an uns“. Der Streit führt zur Spaltung der ANS-Nachfolgeorganisation, der Gesinnungsgemeinschaft Neuen Front. Kühnen tritt unter Protest und mit dem Bekenntnis zu seiner eigenen Homosexualität aus. Gleichzeitig publiziert er seine Schrift „Homosexualität und Nationalsozialismus“, in der er versucht, den idiologischen Graben zwischen homosexuellem Lebensstil und nationalsozialistischer Ideologie zu überbrücken.

Die Frau sei nach Kühnen als Naturwesen eher für Empfängnis und Erziehung der Kinder zuständig. Während der Sexualtrieb „der Fortpflanzung (dient) und das Leben der Frau erfüllt“, sei die männliche Sexualität „offen, nicht zielgerichtet.“ Da der Zeugungsakt ja nur kurze Zeit in Anspruch nehme, könne der Mann seine überschüssige Energie „innerhalb eines Männerbundes sexuell“ ausleben. Männerbünde seien dank ihrer inneren Ordnung im Überlebenskampf klar überlegen, da sie Stabilisierung und Dauerhaftigkeit der Herrschaft versprechen. Homosexuelle Männer seien besonders dazu berufen, Führung in der Horde oder Sippe zu übernehmen.

Wie können solche Überlegungen in Einklang gebracht werden mit der homosexuellenfeindlichen Haltung des NS-Regimes? Für das Dritte Reich differenziert Kühnen. Im Parteiprogramm der NSDAP stehe nichts von einer Pflicht zur Heterosexualität. Hitler habe sich anfangs vor den schwulen SA-Führer Ernst Röhm gestellt. Erst mit dem Röhm-Putsch 1934 begannen die Nationalsozialisten, Homosexualität zu diskriminieren, ein „Einbruch der art- und naturfremden jüdisch-christlichen Moralauffassungen“. Letztlich sei das Dritte Reich 1945 gescheitert, der Zusammenbruch beweist, „dass heterosexuelle Beziehungen einen Männerbund kaum innerlich festigen können“ (Michael Kühnen 1986, Klaus Wolschner 1986, Thomas Hartmann 1996).

In der Realität organisieren sich heute neben den Nazi-Kadern viele Rechtsextreme in Gay-Newsgroups. Ich habe mich dann daran erinnert, wie ich das erste Mal von der Existenz einer schwulen Nazigruppe erfahren habe. Es handelte sich um eine Yahoo-Newsgroup, die versucht hatte, einen Link zu Ihrer Seite in meinem Gästebuch zu platzieren. Nach Recherche bei Yahoo bin ich 2003 auf eine Vielzahl dieser Gruppen gestoßen. Die Gruppe „gaySSbroSS“ beispielsweise konnte mehr als 700 Mitglieder aufweisen – ein Umfang, der mich schon erstaunt hat.

2009 habe ich bei der Vorbereitung einer Diskussionsveranstaltung erneut bei Yahoo recherchiert und bin innerhalb weniger Minuten erneut fündig geworden. Die einschlägigste Gruppe firmiert unter dem Namen: „Gay Neo Nazi Skinheads proud88“ mit 204 Mitgliedern, „Ordnung und Tod“ mit 53 Mitgliedern und an Absurdität nicht mehr zu übertreffen: „SiegSchwul“, eine Gruppe, die seit 2003 mit einem regenbogenfarbenen Hakenkreuz für diese „straight hater group for gays“ wirbt.

Wie man sich beim letzten Symbol denken kann, gerät man hier ganz schnell in eine Debatte, bei der es um Verbot und Zensur geht. Aus drei Gründen bin ich jedoch gegen diese Verbotsdebatte:

1.   Es handelt sich zunächst einmal um Meinungsäußerungen, so verschroben sie auch daher kommen. Das Verwenden von verfassungsfeindlichen Symbolen steht zudem nur in Deutschland unter Strafe. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN-Vollversammlung vom 10.12.1948 im Artikel 19 und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7.12.2000 garantieren jedoch die freie Äußerung von – eben auch rechtsextremen – Gedanken.

2.   Die Gedanken sind bekanntlich frei und lassen sich durch Verbote nicht eliminieren. Die Betreffenden werden lediglich in den Untergrund gedrängt und sind dann nur schwerer zu finden. Verschwunden sind sie nicht.

3.   Als wichtigstes Element gilt jedoch: Verbotsdebatten führen die Aufmerksamkeit unweigerlich in die falsche Richtung. Anstatt sich inhaltlich mit rechtsextremem Gedankengut auseinander zu setzen, diskutiert die Öffentlichkeit Erfolgsaussichten der Verbote, Zensur und Menschenrechte. Die Rechtsextremen können sich derweil beruhigt zurücklehnen und als Märtyrer bestätigt fühlen.

Auffallend an der bisherigen Darstellung ist, dass sich Lesben im rechtsextremen Milieu bislang nicht zu Wort gemeldet haben. Die Sozialwissenschaftlerinnen Bitzan und Hans resümieren in einer Fußnote, dass Lesben sowohl vor als auch über rechtsextreme Frauen so gut wie nie sprachlich oder inhaltlich auftauchen (Renate Bitzan und Beate Hans, Berlin-Amsterdam 1994). Die größere soziale Unsichtbarkeit der weib-weiblichen Sexua­lität und die nationalsozialistische Subsumierung lesbischer Lebensstile unter Asozialität mag der Grund dafür sein, dass sich bislang explizit keine rechtsextremen Lesben zu Wort gemeldet haben.

Letztlich belegen die unterschiedlichen rechtsextremen Einstellungen zu Geschlecht und Sexualität die Brüchigkeit rechtsextremer Ideologie. Gerade die Homosexualität der eigenen Nazi-Kader löst bei den meisten Rechtsextremen stets eine reflexartige homophobe Abwehrhaltung hervor. Die rechtsextremen Homosexuellen selbst können die Widersprüchlichkeit von Ideologie und Wirklichkeit nur mit mühsam bemühten Hilfskonstruktionen überbrücken. Und ob die Frauen, die sich für einen nationalen Feminismus stark machen und gegen das Patriarchat auflehnen, die männerdominanten und stark hierarchisch strukturierten Nazi-Kader tatsächlich stärken, oder Streit und inneren Konflikt säen, bleibt abzuwarten.

Zu den gewaltbereiten Rechtsextremen

Nicht jeder, der rechtsextrem denkt, ist automatisch gewaltbereit und gewalttätig. Doch offenkundig ist, dass rechtsextrem eingestellte Personen seit Jahren für eine Vielzahl rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt verantwortlich sind. Die Dokumentation der Chronik der Gewalt – veröffentlicht auf der Webseite „MUT gegen rechte Gewalt“ der Amadeu Antonio Stiftung legt ein bedrückendes Zeugnis ab für diese menschenverachtende Gewalt. Seit der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 bis Ende 2009 sind nach Recherchen der MUT-Redaktion und des Opferfonds CURA 149 Menschen durch die Folgen rechtsextremer Gewalt ums Leben gekommen. Zudem bleiben viele Fälle in den offiziellen Statistiken unerwähnt (MUT-Redaktion, Chronik rechtsextremer und rassistischer Gewalt 2007 bis 2009).

Der Anteil der an Straf- und Gewalttaten beteiligten Frauen beträgt mittlerweile 10 Prozent, Tendenz steigend (Renate Bitzan 2008; Michaela Köttig 2004). Die gewalttätigen Frauen jedenfalls scheinen das weibliches Rollenverständnis von der zu kurativen Tätigkeiten verpflichteten, erziehenden Mutter ad acta gelegt zu haben. Zwei Beispiele zeigen, dass rechtsextreme Frauen gewillt und in der Lage sind, Menschen aufgrund ihres Andersseins zu ermorden.

Am 21. Dezember 2007 greifen zwei Männer und eine Frau eine 19jährige Frau in Halberstadt an. Mit der Frage, ob sie „links sei“ schubst die Rädelsführerin Antje W. ihr Opfer in einer Parkanlage auf den Rasen, schlägt und tritt ihr Opfer mehrfach ins Gesicht und bedroht es mit dem „Bordstein-Kick“, bei dem den Opfern Gesicht und Genick zertrümmert werden. Die junge Frau erleidet durch Schläge und Tritte gegen den Kopf u.a. einen Augenhöhlenbruch, der mit hoher Wahrscheinlichkeit bleibende Taubheit der linken Gesichtshälfte zur Folge hat. Die Verletzungen bezeichnet die Rechtsmedizin der Universität Magdeburg als „potenziell lebensgefährlich“. Das Amtsgericht Halberstadt verurteilt die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen, für den rechtsextremen Hintergrund der Tat interessieren sich die Richter nicht (MUT gegen rechte Gewalt, Augenhöhlenbruch, 25.07.2009).

Am 2. März 2008 stößt eine 20jährige Frau einen dunkelheutigen Mann in Berlin vor einen S-Bahnzug. Nur die schnelle Reaktion des Opfers und die Hilfe zweier Fahrgäste, die den 19jährigen vom Gleis ziehen, retten ihn vor dem herannahenden Zug der Ringbahn. Polizeibeamte nehmen die Täterin fest. Der polizeiliche Staatsschutz nimmt Ermittlungen wegen versuchten Mordes auf (MUT gegen rechte Gewalt, Chronik rechtsextremer und rassistischer Gewalt 2007 – 2009, 2.03.2008).

Inwieweit homosexuelle Neonazis an rassistischen und antisemitischen Gewalttaten beteiligt sind, ist nicht feststellbar, da die Strafverfolgungsbehörden die sexuelle Identität der Täter nicht ermitteln. Sehr wahrscheinlich sind sie jedoch auch an Gewalttaten beteiligt: zum einen, um sich und den anderen Nazi-Kadern zu beweisen, dass sie entgegen des Klischees vom weibischen Homosexuellen hart kämpfen können. Zum anderen teilen sie ja – mit Ausnahme der Einstellung zur eigenen Homosexualität – die rechtsextremen und rassistischen Einstellungen der heterosexuellen Rechtsextremen.

Offenkundig blenden Polizei und Justiz in vielen Fällen den rechtsradikalen Hintergrund der Taten aus. Zwei Beispiele mögen das belegen:

Der 18jährige Marcel W. soll als Zeuge gegen den unter Bewährung stehenden bekennenden Nationalsozialisten David B. aussagen. David B. soll sein Opfer Marcel W. bereits im November 2007 zusammengeschlagen haben. Zwei Tage bevor Marcel W. seine Zeugenaussage vor Gericht ablegen soll, tötet David B. sein Opfer im August 2008 in seiner Wohnung in Bernburg mit mehreren Messerstichen in Bauch und Oberkörper. Wie das Opfer in die Wohnung des Täters gekommen ist, lässt sich nicht aufklären. Das Landgericht Magdeburg verurteilt den 20jährigen David B. 2009 wegen Todschlags zu einer achtjährigen Haftstrafe.

Die MUT-Redaktion der Amadeu Antonio Stiftung spricht von einer merkwürdigen Urteilsfindung, da die Richter keinen Zusammenhang zur rechten Gesinnung des Täters sehen, sondern von einem Spontantäter sprechen. Bereits die Abteilung der Staatsanwaltschaft – zuständig für Verkehrsdelikte – habe keinerlei Interesse an einer Aufklärung möglicher rechter Tathintergründe gezeigt. Vorstrafen und Zeugenaussagen haben vor Gericht jedoch bestätigt, dass es sich bei David B. um einen bekennenden Rechtsextremen handele. Er ist bereits wegen gefährlicher Körperverletzung, Zeigen des Hitlergrusses und Bedrohung von Migranten vorbestraft. Die Freundin von Marcel W. berichtet zudem, dieser habe „panische Angst“ vor dem körperlich überlegenen David B. gehabt (MUT gegen rechte Gewalt, Neonazi schlägt Zeugen tot, 26.06.2009).

Ein zweites, sehr bekannt gwordenes Beispiel betrifft den Überfall auf einen 19jährigen Punk auf dem Vorplatz der Stadthalle in Berga. Am 9. Februar 2008 wird dieser aufgrund seiner Punk-Frisur und seines Äußeren deutlich als nicht-rechter Jugendlicher erkennbar von einer Gruppe Rechtsextremisten angegriffen. Die Gruppe umringt das Opfer und beleidigt ihn u.a. als „Zecke“. Laut Augenzeugen erhält er mindestens einen massiven Schlag auf den Kopf, durch den er zu Boden stürzt. Als Zeugen eingreifen und Rettungskräfte alarmieren, verlassen die Nazis den Vorplatz der Stadthalle. Die Rettungskräfte fliegen das Opfer mit einem Rettungshubschrauber in eine Klinik, da es eine lebensgefährliche Hirnblutung erlitten hat. Der Punk liegt mehrere Wochen im Koma und wird ein halbes Jahr in Reha-Kliniken behandelt. Er hat bleibende körperliche Schäden davon getragen und seine Lehrstelle verloren, da er aufgrund der körperlichen Einschränkungen seinen Ausbildungsberuf nicht mehr ausüben kann.

Die Strafverfolgungsbehörden verschwiegen der Öffentlichkeit zunächst, dass es sich bei dem Angriff auf den Punk um eine rechtsextrem motivierte Gewalttat handelt. Die Staatsanwaltschaft zeigt ein knappes Jahr lang kein Interesse an der Strafverfolgung der namentlich bekannten mutmaßlichen Täter. Erst als das Fernsehmagazin Kontraste Anfang 2009 für einen Bericht über den Fall recherchiert, ändern die Strafverfolgungsbehörden ihr Vorgehen. Sie erheben Anklage wegen schwerer Körperverletzung gegen den inzwischen 19jährigen Oliver L. und gleichaltrigen Marius M. Eine Zeugin im Strafverfahren gegen die mutmaßlichen Angreifer erhält Todesdrohungen. Die Polizei hatte der Zeugin vor ihrer Aussage Anonymität zugesichert, diese Zusicherung aber nicht eingehalten (MUT gegen rechte Gewalt, Mit massivem Schlag beinahe getötet, 25.07.2009). (In der Printversion gekürzt, JH)

Um die Gewaltbereitschaft vor dem Hintergrund rechtsextremer Gesinnung zu verstehen, lohnt es sich, die nationalsozialistische Ideologie des Dritten Reiches in den Blick zu nehmen. Denn offenkundig sind die Feindgruppen von damals genau die gleichen von heute. Die damalige wie die heutige rechtsextreme Herrschaftsideologie war und ist geleitet von einer gesellschaftspolitischen Utopie: Die Nationalsozialisten wie die neuen Rechtsextremen glaubten bzw. glauben, ein in sich völlig gleichförmiges Sozialgefüge schaffen zu können. Abweichungen von dieser gesellschaftspolitischen Utopie definierten die unterschiedlichen Feindgruppen.

Der Soziologe Wolfgang Sofsky hat herausgearbeitet, dass die Nähe bzw. die Ferne zum Machtzentrum der SS die Überlebenschance einer gesamten Häftlingskategorie in den Konzentrationslagern bestimmte. Die Nähe bzw. Ferne zum Idealbild des ‚arischen’ Menschen lässt sich über zwei Achsen bestimmen: Der Abweichung hinsichtlich der Ethnie bzw. ‚Rasse’ und der Abweichung hinsichtlich sozialer Lebensformen. Auf der ethnischen Achse läuft die zunehmende Distanz von den Nordeuropäern über die Westeuropäer zu den Südeuropäern, dann zu den Slawen, danach zu den Sinti und Roma und zuletzt zu den Juden. Auf der sozialstrukturellen Achse läuft die zunehmende Distanz von den Kriminellen über die Linken, den religiös Abweichenden (Zeugen Jehovas), den Asozialen (u.a. Lesben, Wohnungslose, Bettler), den „Behinderten“ bis zu den homosexuellen Männern am Ende der Skala. Die größte Ferne zum nationalsozialistischen Machtzentrum wurde den Juden auf der ethnischen Achse und den homosexuellen Männern auf der sozialstrukturellen Achse attestiert (Wolfgang Sofzky 1997).

Die im Lagersystem des Dritten Reiches manifestierte Feindgruppenhierarchie stellen auch die Rechtsextremen von heute her. So lauten etwa die Mitgliedsbedingungen der Yahoo-Newsgroup „Nazi International“ wie folgt:

1.) Nur für Weiße, keine Schwarzen, Araber, Asiaten, Zionisten oder andere Rassen,

2.) Keine Schwulen oder Lesben.

Gewaltbereitschaft leitet sich daher aus dem oben skizzierten ideologischen Gedankengebäude ab. Je weiter sich ein Mensch im ethnischen Sinne oder aufgrund seiner Lebensweise von dem rechtsextremen Idealbild entfernt, desto eher gilt er als ‚lebensunwert’. Neben Juden, Migranten und dunkelheutigen Deutschen sind nach diesem Denkschema Linke, Punks, Obdachlose sowie Schwule und Lesben Zielscheibe rechtsextremer Gewalt. Ihr Tod wird nicht nur billigend in Kauf genommen, er ist das erklärte Ziel der meisten Angreifer/innen. Es ist daher nicht akzeptabel, wenn Strafverfolgungsbehörden die rechtsextremen Motive der Täter/innen ausblenden und meinen, ‚nur’ wegen schwerer Körperverletzung oder Todschlag anklagen zu können. Denn wenn die Vernichtung des vermeintlich ‚unwerten Lebens’ das Ziel rechtsextremer Überfälle ist, dann sind die Taten als Mord bzw. Mordversuch zu werten.

Schleppende mangelhafte Strafverfolgung werten die extremen Rechten hingegen als Freibrief für weitere Gewalt. Der Appell an die Zivilcourage der Bürger/innen, bei rechtsextremer Gewalt nicht wegzusehen, muss ungehört verhallen, solange Polizei und Justiz nicht konsequent durchgreifen.

Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung hat für Verbrechen, die aufgrund der Tatsache verübt werden, dass die Opfer anders sind, den Namen „Hate Crimes“ kreiert, deutsch „Hassverbrechen“ (Gregory M. Herek und Kevin T. Berill 1992). Menschen werden bedroht, verletzt und umgebracht, weil sie anders sind – hinsichtlich ihrer Ethnie und/oder hinsichtlich ihrer Lebensweise. Dieses Motiv kommt wahrlich einem niedrigen Beweggrund gleich.

Zum Umgang mit den drei idealtypischen Gruppen

Den Fetischisten kann man mit Gelassenheit begegnen, da ihre Fetischisierung und Erotisierung keine Rechte Dritter verletzt.

Die überzeugten Rechtsextremen sollten nicht mit Verbot und Zensur, sondern mit inhaltlicher Auseinandersetzung bedacht werden. Nationale Feministinnen und homosexuelle Nazi-Kader zeigen, dass die Rechtsextremen bereits dabei scheitern, ihre Ideologie in den eigenen Reihen umzusetzen.

Bei den Gewaltbereiten muss es bei Polizei und Justiz heißen: Null Toleranz! Hassverbrechen sollen bis zum Beweis des Gegenteils als Mordversuch bzw. Mord strafrechtlich verfolgt werden, da Hass auf Andersartigkeit ein niedriger Beweggrund darstellt.

Literatur

Bitzan, Renate und Beate Hans: Gender Killer – Von rechten Kämpferinnen und braven Biederfrauen – Frauen und Rechtsextremismus – Ein Überblick, Berlin-Amsterdam 1994, <http://www.nadir.org/nadir/archiv/Feminismus/GenderKiller/gender_9.html> 13.05.2010

Bitzan, Renate: Frauen im Rechtsextremismus in Theorie und Praxis, Impulsreferat auf der Tagung “Brave Mädels und echte Kerle? Theorie und Praxis von Geschlechterrollen im Rechtsextremismus, Berlin, 23.01.2008, <http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf/080123_bitzan.pdf> 13.05.2010

Hartmann, Thomas: Der Homosexuellenstreit unter den deutschen Neonazis, Bremen 1996 <http://www.joerg-hutter.de/schwule_nazis.htm> 13.05.2010

Herek, Gregory M. und Kevin T. Berill: Hate Crimes – Confronting Violence against Lesbians and Gay Man, Sage Publications, London/New Delhi 1992

Kirch, Eugen: Schwulenmagazin Magnus im Visier der Neonazis, taz Hamburg vom 18.06.1994

Köttig, Michaela: Lebensgeschichten rechtsextrem orientierter Mädchen und junger Frauen, Gießen 2004

Kühnen, Michael: Homosexualität und Nationalsozialismus, hg. v. Michel Caignet im Eigendruck, Paris 1986

MUT-Redaktion, Chronik rechtsextremer und rassistischer Gewalt 2007 bis 2009, Amadeu Antonio Stiftung, <http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/gewaltchronik-2007-8.print.html> 13.10.2010

MUT-Redaktion, News/Meldungen, Amadeu Antonio Stiftung, < http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/meldungen/> 13.10.2010

Röpke, Andrea: Braune Parallelwelt – Ein Hintergrundbericht zur HDJ, in Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin 17.06.2008, <http://www.bpb.de/themen/VCZMSU,0,Braune_Parallelwelt.html> 13.05.2010

Sofsky, Wolfgang: Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager, Frankfurt/M. 1997

Wolschner, Klaus: Michael Kühnen: In Männerbunden sexuell betätigen, taz Bericht vom 13.10.1986

 Biografie Dr. Jörg Hutter

Geb. 17.06.1958 in Düsseldorf, 1979 – 1982 Studium der Soziologie an der Universität Mannheim, von 1982 – 1985 an der Universität Bremen mit Diplom als Abschluss, 1994 Promotion an der Universität Bremen zum Dr. rer. pol., 1985 – 1995 Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen, 1995 – 1999 Entwicklung und Aufbau der wissenschaftlichen Forschungs- und Lehreinheit „Schwul-lesbische Studien“, seit 2000 tätig als Projektleiter und Sozialmanager bei dem Bildungsdienstleister Jugendbildung Hamburg gGmbH, ab 2008 in der Geschäftsleitung von Jugendbildung Hamburg.

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