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Polizei misshandelt Demonstranten auf Demo gegen die
NPD
Daniel Meinel und Jörg Hutter
In einer Presseerklärung vom 9.11.2006
resümiert das
Bremer Bündnis gegen Rechts die Ereignisse auf der Demonstration
gegen den NPD-Aufnarsch am 4.11.2006 wie folgt: "Das Bremer
Bündnis gegen rechts begrüßt, dass am Samstag, den
4.11.2006 circa zehntausend Bürgerinnen und Bürger in Gröpelingen
und Walle ein deutliches Zeichen gegen Faschismus und Rassismus
gesetzt haben. Das Bremer Bündnis wendet sich entschieden gegen
die Presseerklärung der Bremer Polizei, in der die schon im
Vorfeld stattgefundene Legendenbildung über angeblich
gewaltbereite Linksautonome fortgesetzt wird.
Wir
erklären: aus der Demonstration heraus ist keine Gewalt
ausgegangen, sondern ziviler Ungehorsam beim Überschreiten der
Demarkationslinie an der Grasberger Straße. Die Gewalt ging
eindeutig von den Reihen der Polizeieinsatzkräfte aus. Mehrere
hundert Augenzeugen können dies bestätigen. Nicht die Polizei
sorgte durch ihr martialisches Auftreten für eine Deeskalation der
Situation, sondern ausschließlich das besonnene Auftreten einer
Vielzahl von Demonstrationsteilnehmern aus allen
Bevölkerungsschichten. Der unverhältnismäßige Einsatz von
Polizeiknüppeln, Pfefferspray und scharfen Polizeihunden ohne
Maulkorb führte zu erheblichen Verletzungen bei
Demonstrationsteilnehmern. Das Bremer Bündnis beobachtete, dass
eine vergleichbare Ausrüstung und Vorgehensweise gegenüber der NPD
am Waller Bahnhof nicht eingesetzt wurde."
Diese
Erklärung spiegelt exakt unsere eigenen Erfahrungen auf der
Demonstration wider. Immerhin belegen mittlerweile etliche Fotos
und Filmaufnahmen sowie Zeugenaussagen das gewaltsame Vorgehen der
Polizeikräfte
[taz-mehr-dazu].
Dem
möchten wir unseren eigenen Erfahrungsbericht hinzufügen: Das in
der taz-nord abgebildete Foto der Agentur Ahron belegt
eindrucksvoll den aggressiven und völlig grundlosen
Pfeffersprayeinsatz der Polizei gegen mich, Daniel Meinel. Ich
hatte mir kurz zuvor durch einen Sturz eine Rippe gebrochen und
saß verletzt auf der Straße. Die Hautreizungen waren noch zwei
Tage später sehr schmerzhaft.
Die
Polizeisperre in Höhe der Grasberger Straße hat die Polizei
entgegen ihrer eigenen Verlautbarung selber aufgelöst, so dass der
Demonstrationszug ungehindert bis nach Walle vorrücken konnte.
Hierauf schien die Polizeistrategie ohnehin von vorneherein
ausgerichtet zu sein. Denn bei unserer Anreise mit der Straßenbahn
sahen wir die Wasserwerfer die Werftstraße von Gröpelingen kommend
nach Walle fahren. Die zweite Polizeisperre ist demnach
offenkundig bereits vor Beginn der Demonstration in Walle
errichtet worden.

Hier
sieht man mich, nachdem ich nach einem durch einen Sturz verursachten Rippenbruch verletzt auf der
Straße sitze und Polizisten mich von hinten mit Pfefferspray beglücken.
Foto: © Thomas Rassloff,
[Agentur Ahron]
Polizeiliche Gewalt auf der Waller Heerstraße
Später,
in Höhe der Kreuzung Wallerstr. Waller Heerstraße stand die mehrere tausend
Menschen starke Demonstration über Stunden vor der zweiten,
undurchdringbaren Polizeisperre aus Wasserwerfern und einem Räumfahrzeug.
Allen Beteiligten war klar, das ein Weiterkommen hier nicht mehr möglich
war. Zudem war uns bewusst, dass wir die von der NPD beantragte
Demonstrationsroute besetzt hielten. Diesen strategischen Vorteil wollte
sich keiner der Demonstrationsteilnehmer aus der Hand nehmen lassen.
Es
war demnach von Seiten der Polizei unnötig, in dieses Geschehen
einzugreifen. Wir standen beide ganz vorne vor der Absperrung und haben
keinerlei Versuche beobachten können, dass die Polizeikette überwunden
werden sollte. Dies wäre aufgrund der polizeilichen Übermacht auch sinnlos
gewesen. Die Stimmung unter den Demonstrationsteilnehmern war eher
heiter als aggressiv. Die Jugendlichen in dem als gewalttätig
apostrophierten linksautonomen Block sprangen und hüften im Rhythmus und
sangen in Richtung Polizei: "Eure Kinder sehen einmal genauso aus wie wir".
Punker hatten sich in Gruppen hingesetzt und waren ebenfalls am singen: "Forever
punk, forever punk ... ".
Es
hätte Volksfeststimmung aufkommen können, wenn die Polizei von ihren
aggressiven Verhaftungen Abstand genommen hätte. Schwer bewaffnete
Polizisten stießen wiederholt von der Straßenseite in die Menge vor, um mit
brutaler Gewalt einzelne Personen zu verhaften. Wir haben beobachtet, wie
sich ein solcher Trupp von der Weserseite der Waller Heerstraße durch den
linksautonomen Block bis ganz hinüber zur Bahnseite der Waller Heerstraße
durchknüppelte, um dort einen Demonstranten festzunehmen. Es fällt schwer zu
glauben, dass es sich bei diesem Zugriff über eine Distanz von 60 oder 70
Meter um eine zielgerichtete Verhaftung eines "Straftäters" gehandelt haben
soll. Der Verdacht drängt sich vielmehr auf, dass der polizeilich
'verhasste' linksautonome Block aufgerieben werden sollte. Die Stimmung war
durch diesen willkürlichen und aggressiven Zugriff derart aufgeheizt, dass
es nur dem besonnenen Eingreifen vieler Umstehender zu verdanken ist, dass
die Situation nicht weiter eskalierte.
Die Taktik der Demonstranten: Deeskalation
Die
Taktik der älteren Demonstrationsteilnehmer konzentrierte sich im folgenden
darauf, weitere ungerechtfertigte Zugriffe der Polizei zu verhindern. Immer
dann, wenn sich die Stoßtrupps der Polizei am Straßenrand sammelten,
stellten sich ihnen ältere Frauen und Männer in den Weg. Andere versuchten
durch eine Sitzblockade, ein polizeiliches Stürmen in die Menschenmenge zu
verhindern.
Die
polizeiliche Gewalt gegenüber den jugendlichen Demonstrationsteilnehmern ist
rückblickend in jeder Hinsicht völlig unangemessen und unakzeptabel gewesen.
Erstatten von Anzeigen: ein sinnvoller oder
sinnloser Schritt?
Der
Bremer Senat fordert uns nun im nachhinein über seinen Senatssprecher Klaus
Schloesser auf, Anzeige gegen die Polizei zu erstatten (Juristisches
Nachspiel, taz bremen vom 24.11.2006).
Warum
sollten wir das tun? Die Anzeigenbereitschaft hängt in erster Linie
davon ab, ob wir erwarten können, dass die Strafverfolgungsbehörden
Straftäter ermitteln und verurteilen. Bei den rechtswidrigen Bremer
Massenverhaftungen im Jahr 1996 hat die Staatsanwaltschaft alle
eingeleiteten Strafverfahren gegen die Polizei mit der Begründung
eingestellt, die Betroffenen seien ja zwischenzeitlich freigelassen.
Ähnliches Schicksal erwartet die Strafanzeigen von heute. Vor Gesetz sind
eben nicht alle gleich. Insbesondere die der Straftaten verdächtigen
Polizisten sind gleicher als andere Bürger. Das Misstrauen gegenüber dem
hiesigen Rechtsstaat, den Kriminalitätsstatistiken (rechtswidrige Handlungen
von Polizisten finden dort sicher keinen Eingang) und den vollmundigen
Erklärungen der Politiker (Bürgermeister Jens Böhrnsen: Die Vorwürfe müssen
gründlich aufgeklärt werden, taz bremen vom 24.11.2006) ist daher wohl
begründet.
Keiner hat das Recht zu gehorchen
Schließlich
muss der Polizei noch in einem weiteren Punkt deutlich widersprochen werden.
Das Übertreten der 'Demarkationslinie' an der Grasberger Straße ist zurecht
als ziviler Ungehorsam gewertet worden, genauso wie das Ausharren auf der
Waller Heerstraße, nachdem die Polizei die Demonstration für aufgelöst
erklärt hat. Immerhin ging es darum, den Aufmarsch der menschenverachtenden
NPD zu verhindern. Diese Partei bekennt sich offen zur
nationalsozialistischen Politik. Die nationalsozialistischen Verbrecher haben sich in
den Nürnberger Prozessen allesamt auf ihren Befehlsnotstand berufen. Der
kritische Umgang mit Befehlen gehört daher zur demokratischen Bürgerpflicht.
Die Philosophin Hannah Arendt hat den Kern getroffen, wenn sie vor dem
Hintergrund der nationalsozialistischen Verbrechen formuliert:
"Keiner hat das Recht zu
gehorchen."
Dieser Gedanke hat uns
überzeugt.

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