Kein Platz für alternative Lebensentwürfe -
Der Bremer Sozialwissenschaftler Jörg Hutter über den Umgang der
Neonazis mit Homosexualität, in: Das Parlament, Nr. 45, Berlin
7.11.2005. Da die älteren Artikel nicht mehr im Netz publiziert werden,
mache ich dies an dieser Stelle (Jörg Hutter).
Kein Platz für alternative
Lebensentwürfe
Der Bremer Sozialwissenschaftler Jörg Hutter über den Umgang der
Neonazis mit Homosexualität
Das Parlament:
Herr Hutter, hat der Männlichkeitskult der Neonazis für Schwule einen
besonderen Reiz?
Jörg Hutter: Ich
vermute, dass der Anteil von Schwulen mit nationalsozialistischer
Gesinnung genauso groß ist wie in allen anderen Bevölkerungsschichten.
Ich würde auch unterscheiden zwischen denen, die diesen Kult als
Fetisch brauchen, und denen, die damit auch eine Gesinnung verbinden.
Wenn man beispielsweise diese Schaftstiefel oder andere entsprechende
Kleidungsstücke anzieht, um sich sexuell zu erfreuen, kann das völlig
losgelöst sein von der persönlichen Gesinnung. Diejenigen, die als
Homosexuelle mit rechtsextremer Gesinnung aufgetreten sind, haben
allerdings wirkliche Auseinandersetzungen in der rechtsextremen Szene
ausgelöst. Das ist ein Konfliktpotenzial, das in der Szene immer wieder
aufbricht.
Das
Parlament: Offiziell lehnt die rechtsextreme Szene
Homosexualität als "entartet" ab. Wie ist es überhaupt zu solchen
"Outings" von Schwulen gekommen?
Jörg Hutter: Das ist
der normale Weg, den ein Homosexueller mit seinem "Coming out" geht.
Irgendwann lässt sich die eigene Homosexualität nicht mehr verbergen,
gerade wenn beispielsweise in einer Gemeinschaft die Art des
Zusammenlebens nicht mehr zu verheimlichen ist. Einer der bekanntesten
rechtsextremen Homosexuellen war Michael Kühnen, der in den 80er-Jahren
eine zentrale Führungsfigur gewesen ist. Als dann klar war, dass Kühnen
homosexuell war, hat das zu ganz heftigen Konflikten in der
rechtsextremen Szene geführt.
Das Parlament: Wie
weit gingen diese Konflikte?
Jörg Hutter: Es ist
zu einer Spaltung gekommen. Ein homosexueller Freund von Kühnen, der
Franzose Michel Caignet, ist Mitte der 80er-Jahre als Erster aus der
europaweit agierenden "Aktionsfront Nationaler Sozialisten"
ausgeschlossen worden. Caignet hatte als Herausgeber einer
Schwulen-Zeitschrift versucht, an Homosexuelle heranzukommen und sie zu
werben. Das hat zu dem Bruch geführt. Im Zusammenhang mit diesen
Auseinandersetzungen hat auch Kühnen seinen Austritt aus der Bewegung
erklärt und das Manifest "Homosexualität und Nationalsozialismus"
veröffentlicht, um zu rechtfertigen, warum man auch als überzeugter
Nationalsozialist schwul sein kann.
Das Parlament: Ging
es in dem Manifest Kühnens nicht um seine These, dass Homosexuelle die
wahren Kämpfer der Bewegung seien, weil sie nicht an Frau und Familie
gebunden sind?
Jörg Hutter: Das war
eine besonders krude Theorie, die teilweise auch als
"Steinzeit-Nationalsozialismus" bewertet worden ist. Danach ist die
Frau als Naturwesen eher für Empfängnis und Erziehung der Kinder
zuständig und der Mann dazu berufen, Führungsqualitäten in der Horde
und Sippe zu übernehmen. Da er sich nicht um Kindererziehung kümmern
müsse und der Zeugungsakt ja so schnell vorbei gehe, könne sich der
Mann dann auch die Zeit nehmen, seine überschüssige Sexualität mit
Männern und "geschlechtsreifen Knaben" - wie Kühnen das formuliert hat
- auszuleben. Diese merkwürdige Herleitung beruht natürlich nicht auf
irgendwelchen wissenschaftlichen Untersuchungen über die Germanenzeit,
sondern ist ein reines Fantasieprodukt Kühnens. Er wollte versuchen,
einen Mythos zu schaffen.
Das Parlament: Wie
begründet das andere Lager der rechtsextremen Szene seine besondere
Feindschaft gegenüber Homosexuellen?
Jörg Hutter:
Kühnen hat behauptet, die jüdisch-christliche Moral sei für die
Homosexuellenfeindschaft verantwortlich. Die anderen sagen,
Homosexualität sei "abartig". Letztendlich mag es um Machtkämpfe gehen,
aber es wird auch befürchtet, dass die Bewegung unterwandert wird von
einer "abartigen" Moral. Die schwäche die "Volksfront" und müsse daher
ausgemerzt werden. Es wird kaum rational, aber dafür umso heftiger
emotional argumentiert.
Das Parlament: Gibt
es derzeit noch Konflikte um das Thema?
Jörg
Hutter: 2003 tauchten bei Yahoo eine ganze Reihe von Gruppen auf, wie
"GayNaziSkinheads WPWW SS88", "JungSSkinSS" und "gaySSbroSS". Letztere
ist eine englischsprachige Gruppe mit fast 700 Mitgliedern - ein
Umfang, der mich schon erstaunt hat. Diesen Gruppen ging es eindeutig
nicht nur um einen sexuellen Fetisch, sondern um rechte Gesinnung. Es
muss um die 20 bis 30 solcher Gruppen gegeben haben. Diese Versuche von
homosexuellen Nazis, sich über Yahoo zu organisieren, sind in
rechtsextremen Foren zur Kenntnis genommen worden. Die dortigen
Teilnehmer haben zum Teil sehr heftig darauf reagiert.
Das Parlament:
Das heißt, die Mehrheit der Rechtsextremen reagiert feindschaftlich auf
Homosexuelle?
Jörg
Hutter: Das kann man so sagen, weil es eine sehr
patriarchale, männlichkeitsdominierte Bewegung ist. Die Männerrolle
wird ganz eindeutig durch den Schwulen - gerade wenn er auch noch
weiblich auftritt - in Frage gestellt. Aus dieser Angst heraus, dass
die Männerrolle in Frage gestellt wird, wird so aggressiv-ablehnend
reagiert.
Das
Parlament: Wie weit geht diese Aggression? Im
Nationalsozialismus ging sie bis hin zum Mord.
Jörg Hutter: Es hat
auch im Kühnen-Umfeld einen Fememord aufgrund von Homosexualität
gegeben, 1981 an Johannes Bügner. Es gibt immer wieder Todesdrohungen
gegen Homosexuelle. Man kann sich als Schwuler in diesen Kreisen nicht
sicher fühlen.
Das Parlament: Gilt das genauso für Lesben?
Jörg Hutter:
Da wird auch eher abwehrend reagiert, aber nicht so stark. Michael
Kühnen sagt, die Männer dürfen zwar gleichgeschlechtlich lieben, aber
das Naturwesen Frau, das Kinder zu erziehen und zu gebären hat, darf
das nicht. Aber eigentlich ist das Thema Lesbischsein mehr oder weniger
bedeutungslos in der Szene und kommt höchstens als Randnotiz vor.
Wahrscheinlich bedroht es das eigene Männerbild nicht so, wenn Frauen
miteinander Sex haben.
Das Gespräch
führte Ulrike Schuler. Sie arbeitet als freie Journalistin in Berlin.